Ewigkeitssonntag: Warum die Toten einen Platz mitten im Leben brauchen

Das Segensbüro in Berlin-Neukölln feiert ein „Fest der Toten“. Klingt vielleicht erst einmal schräg, aber unser Gastautorin Johanna Friese findet: Wir sollten die Toten zu uns ins Leben einladen.

Gedeckter Tisch beim "Fest der Toten" in der Genezarethkirche in Berlin-Neukölln
Gedeckter Tisch beim "Fest der Toten" in der Genezarethkirche in Berlin-NeuköllnEva von Schirach

Wenn sich unsere Familie zum Totensonntag am Grab meiner Großeltern trifft, gibt es Kekse und Glühwein. Irgendeiner von uns hat einmal angefangen, ein Körbchen mit einer Thermoskanne und Spekulatius mit auf den Friedhof zu bringen. Als die Töchter damals ihre Eltern verloren, waren sie in den Zwanzigern. Es war nicht leicht für sie und jede trauerte anders, so schufen sie sich dieses Ritual.

Jahrzehnte später tun wir das noch immer, der Friedhof wurde mir von klein auf zu einem selbstverständlichen Ort: Während wir das Grab für den Winter schön machen, wärmen wir uns an den Bechern und erzählen. Wir lachen, erinnern uns und manchmal sind wir auch einen Moment ganz still. Zu meiner Hoffnung gehört es, dass alle meine Lieben in Gottes Ewigkeit geborgen sind. Dass unsere Lebensgeschichten in Gott aufgehoben sind.

Der Ewigkeitssonntag erinnert besonders an die Leerstelle

Am Ewigkeitssonntag stehen diese Geschichten besonders vor Augen: Denn wenn jemand nicht mehr da ist, fehlt etwas. Der Tod reißt eine Lücke und hat unglaubliche Macht. Wer trauert, fühlt sich wie aus der Zeit gefallen, während die anderen ihren ganz normalen Alltag weiterleben. Der Verlust wird oft erst nach der Beerdigung richtig bewusst: der nächste Geburtstag, den man so gern zusammen gefeiert hätte. Der erste Urlaub alleine. Oder die Adventszeit, zu der das Traurigsein so überhaupt nicht passen will. Trauer kostet Kraft und sie braucht Zeit. Vielleicht muss man sich manchmal überhaupt erst an die Trauer herantrauen und sich und anderen auch die Klage zumuten.

Dafür sind Kirchen mit all ihrem Traditionsreichtum die richtigen Orte. Ich denke, die Auferweckungshoffnung kann heute am besten als „Verewigung meines individuellen Lebens“ (Dietrich Korsch) vermittelt werden, aber gerade so, dass trotz Abbrucherfahrungen im Leben eine Zukunft bei Gott möglich ist.

Segensbüro in Berlin-Neukölln lädt zum „Fest der Toten“ ein

Vor einem Jahr hat das Segensbüro in Berlin-Neukölln in der Genezarethkirche zu einem „Fest der Toten“ eingeladen. Etwa 60 Menschen jeden Alters kamen, nahmen an einer langen gedeckten Tafel Platz, stellten ihre persönlichen Erinnerungsstücke in eine Galerie. Sie brachten Speisen mit, die an ihre Verstorbenen erinnern.

 

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Da war der Apfelkuchen von Tante Hilde oder das Bauernbrot von Mama, das sie am liebsten mit frischen Radieschen belegte. An diesem Abend wurden die Erfahrungen rund um Tod und Trauer und auch die Hoffnungen miteinander geteilt. Kinder schauten sich in der Leseecke Bilderbücher an und tobten. Woanders wurde geweint und gesegnet. Die Menschen erzählten sich beim Essen, wofür sie dankbar sind und auch, womit sie noch nicht fertig sind.

Christlicher Trost verschweigt nicht die Brüche

Der christliche Trost verschweigt gerade nicht die Grenzen und Brüche des menschlichen Lebens vor Gott. Eher geht es darum, ein selbsterlebtes oder von anderen begleitetes Ertragen und Durchtragen von Leid zu ermöglichen: in Spannung, in Demut und doch getragen von einer letzten Hoffnung auf Gott.

Denen, die sich gemeinsam als Erinnerungsgemeinde finden, zeigt sich im Erinnern vielleicht noch einmal die Geschichte der oder des Verstorbenen anders. Vielleicht bekommen sie auch Mut für die eigene Verarbeitung der Geschichte mit ihren Toten. So geht es für sie letztlich um eine neue Lebensperspektive. Und die hat in jeder Erinnerungsgemeinde einen Platz, weil die liebende Beziehung von Gott her zu Lebenden und zu Toten nicht zu ihrem Ende kommt. Gut, wenn Kirchen dafür verschiedene Räume öffnen. In Gottesdiensten mit Kerzen genauso wie in bunten Festen mit neuer Musik.

„Fest der Toten“ im ZDF-Fernsehgottesdienst

Auch dieses Jahr werden einige Kirchengemeinden „Feste der Toten“ veranstalten und die Idee des Segensbüros jeweils für sich anpassen. Und vielleicht lässt sich so beim Erzählen, gemeinsamen Essen und Erinnern eine neue Sprache für die Hoffnung gegen den Tod entdecken. Vor allem aber lässt sich spüren: Niemand bleibt allein.

Der ZDF-Fernsehgottesdienst am Ewigkeitssonntag „Ein Platz bei Gott“ am 26. November, 9 Uhr wird vom Segensbüro in Berlin-Neukölln aus der Genezarethkirche, Herrfurthplatz 14, in Berlin-Neukölln gestaltet. Die Liveübertragung beginnt von 9.30–10.15 Uhr im ZDF. Für Gäste vor Ort ist der Einlass nur bis 9 Uhr.

Johanna Friese ist Pfarrerin im Segensbüro in Berlin-Neukölln