Ewig neu und altbewährt: Das Radio wird 100 Jahre alt

Am 29. Oktober 1923 ging das erste Radioprogramm in Deutschland auf Sendung. Dank der Schnelligkeit und Unmittelbarkeit wurde der Hörfunk rasch zum populärem Medium. Und behauptet sich bis heute.

Von hier wurde 1923 das erste Rundfunkprogramm in Deutschland gesendet –  der Rundfunksender Funkstunde AG im Voxhaus in der Potsdamer Straße in Berlin
Von hier wurde 1923 das erste Rundfunkprogramm in Deutschland gesendet – der Rundfunksender Funkstunde AG im Voxhaus in der Potsdamer Straße in Berlinakg-images / AKG165383

„Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin Vox-Haus auf Welle 400 Meter.“ Mit diesen Worten, gesprochen von Friedrich Georg Knöpfke, begann am 29. Oktober 1923 das erste offizielle Rundfunkprogramm in Deutschland. Es folgte die Übertragung der „Suite für Violoncello“ von Fritz Kreisler. Nur wenige Menschen an den Empfangsgeräten ahnten wohl damals, dass das Radio in wenigen Jahrzehnten weltweit das populärste Medium schlechthin werden sollte.

In den ersten Monaten und Jahren suchte das neue Medium Radio noch nach seiner Form. Es war, wie der Schriftsteller Bertolt Brecht 1932 in seiner Rede „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“ sagte, eine Erfindung, die nicht bestellt gewesen sei: „Nicht die Öffentlichkeit hatte auf den Rundfunk gewartet, sondern der Rundfunk wartete auf die Öffentlichkeit.“ Vielleicht sollte man besser sagen: Er musste seine Öffentlichkeit finden. Und er fand sie rasch.

Die „Funk-Stunde“, wie der erste – privat betriebene – Radiosender ab 1924 hieß, hatte zunächst nur ein kleines Publikum: 1.580 Hörer zahlten im Januar 1924 die Teilnehmergebühr, 94 Prozent kamen aus Berlin. Doch in den Jahren 1923 und 1924 gründeten sich etliche weitere private Rundfunkgesellschaften, in Frankfurt am Main, Königsberg, Hamburg, Leipzig, Stuttgart, Breslau, Münster und Berlin.

Wer die neuen Radioprogramme hören wollte, musste sich als Teilnehmer anmelden. Im Dezember des Jahres 1924 gab es bereits eine halbe Million Teilnehmer in Deutschland. Ein Jahr später hatte sich die Zahl verdoppelt. Zwei Reichsmark kostete 1924 – kurz nach der Inflation – die monatliche Teilnehmergebühr. „Schwarzhören“ wurde im März 1924 unter Strafe gestellt.

Live von der Friedrichstraße

Schnell erkannten die Radiomacher den Wert der Live-Berichterstattung, die „Blitzesschnelle des Rundfunks“: Bei den Reichstagswahlen am 4. Mai 1924 hatte der Direktor der Berliner „Funk-Stunde“, Theodor Weldert, „einen ganzen Stab an Helfern“ um sich geschart, um über die Wahlen zu berichten, wie der Chefredakteur der Zeitschrift Funk, Ludwig Kapeller, damals beschrieb.

Kapeller war beeindruckt von der „Raschheit der Nachrichtenübermittlung“. In der Silvesternacht 1924/25 verließ der Reporter Alfred Braun das Studio der „Funk-Stunde“, um live von der Berliner Friedrichstraße über die Feier zum Jahreswechsel zu berichten. Seine Reportagen machten Braun zum berühmtesten Radioreporter seiner Zeit, schreibt der Rundfunkhistoriker Hans-Ulrich Wagner.

Alfred Braun, Pionier des deutschen Rundfunks, während einer Übertragung (1954)
Alfred Braun, Pionier des deutschen Rundfunks, während einer Übertragung (1954)Imago / ZUMA / Keystone

Der Physiker Albert Einstein sagte 1930 bei der Eröffnung der Deutschen Funkausstellung in Berlin, die Technik des Radios ermögliche „die wahre Demokratie“: Sie mache die Werke „der feinsten Denker und Künstler, deren Genuss noch vor Kurzem ein Privileg bevorzugter Klassen war, der Gesamtheit zugänglich“.

Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, sahen sie im Radio ein Herrschaftsmittel, wie der Medienhistoriker Christoph Classen schreibt: „Dass das Medium nur in einer Richtung sendete, passte zu ihrem politischen Ideal einer direkten und andauernden Verbindung zwischen dem ‚Führer‘ und einer ihm treu ergebenen ‚Volksgemeinschaft‘.“ Die Sender wurden gleichgeschaltet, der Hörfunk zum Propagandainstrument. Mit dem preiswerten „Volksempfänger“ machten die Nationalsozialisten das Radio zum Massenmedium. Ausländische Sender zu hören, war seit 1939 verboten.

Die Mehrheit hört immer noch zu

Nach dem Krieg entstand in der Bundesrepublik unter der Führung der Alliierten dann ein Rundfunk, „der staatsfern, aber nicht unpolitisch sein sollte’“, schreibt Classen. In der jungen Bundesrepublik wurde das Radio zur Schule der Demokratie.

Bildung, Information, Unterhaltung – seine Funktionen haben es dem Medium über die Jahrzehnte ermöglicht, sich immer wieder neu zu erfinden und populär zu bleiben. Die Empfangsgeräte wurden im Laufe der Zeit mobiler und kleiner und ließen sich überall mitnehmen. Auch in Zeiten von Fernsehen und Internet hören drei Viertel der Menschen in Deutschland immer noch täglich Radio.

Seit dem Aufkommen des Privatradios in den 80er Jahren wurden die Wellen nach und nach vermeintlich passgenau für spezielle Zielgruppen formatiert. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse gibt es derzeit mehr als 400 unterschiedliche Radiosender in Deutschland. Lange Wortbeiträge gelten vielfach als Störfaktor.

Das könnte sich jetzt mit dem Aufkommen der Podcasts wieder ändern. Gefragt sind gerade im Internet Persönlichkeiten und Stimmen, denen die Menschen vertrauen. Erfolgreiches Beispiel ist der Podcast „Coronavirus-Update“ mit dem Virologen Christian Drosten, der insgesamt 86 Millionen Abrufe erreichte.

„Radio ändert sich und bleibt, was es ist“, sagt Hans-Ulrich Wagner vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Für ihn ist das akustische Medium 100 Jahre nach seiner Geburt lebendiger denn je. Es werde „immer wieder neue Stimmen geben, die fesseln und faszinieren, die informieren und anregen, die Musik präsentieren, durch den Alltag begleiten und Geschichten erzählen“.