EU-Behörde empfiehlt Zulassung von Alzheimermedikament
Es ist kein Wundermittel. Dennoch ruhen viele Hoffnungen auf einem neuen Wirkstoff gegen Alzheimer. Jetzt empfiehlt eine EU-Behörde die Zulassung in einem eng begrenzten Bereich.
Ein Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat die Zulassung des Wirkstoffes Lecanemab zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit im frühen Stadium empfohlen. Noch im Juli hatte der Ausschuss für Humanarzneimittel der Behörde diesen Schritt unter Verweis auf die Nebenwirkungen und den eng begrenzten Empfängerkreis abgelehnt. Das Medikament mit dem Handelsnamen Leqembi kann nach Expertenangaben die Erkrankung nicht heilen, sondern verlangsamt ihr Fortschreiten.
Leqembi soll nur bei leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit verordnet werden.Außerdem soll das Mittel nur bei Alzheimer-Patienten angewandt werden, die nur eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen – Schwellungen und Blutungen im Gehirn – geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.
Der Wirkstoff bremst die Bildung von sogenannten Amyloid-β-Plaques, die zum Absterben der Nervenzellen führen, und verlangsamt so den Abbau der kognitiven Fähigkeiten. Er bekämpft damit Ursachen der Erkrankung; andere Alzheimer-Therapien behandeln nur die Symptome.
Im Juli hatte sich die Europäische Arzneimittel-Agentur gegen eine Empfehlung zur Zulassung ausgesprochen. Daraufhin beantragte der Hersteller des Medikaments eine erneute Prüfung. Abgewogen werden musste zwischen dem klinischen Nutzen für die kleine Patientengruppe mit frühem Alzheimer, dem hohen Aufwand der regelmäßigen Infusionen und dem seltenen Risiko schwerer Nebenwirkungen.
In den USA wurde dem Wirkstoff 2023 eine vollständige Marktzulassung erteilt. Auch in Großbritannien ist er zugelassen. Allerdings werden die Kosten für die Therapie nicht vom staatlichen Gesundheitsservice übernommen, da die Behörden zu dem Ergebnis kamen, dass die Therapiekosten den geringen Therapieerfolg nicht rechtfertigen würden. Australien sprach sich am 14. Oktober gegen eine Zulassung aus.
Die Leiterin der Abteilung Wissenschaft der Alzheimer Forschung Initiative, Anne Pfitzer-Bilsing, sprach von einer wegweisenden Entscheidung. “Damit werden die Weichen für die Diagnostik und Behandlung der Alzheimer-Krankheit voraussichtlich grundlegend neu gestellt.” Allerdings müsse der Zugang zu dem Medikament wegen möglicher schwerwiegender Nebenwirkungen streng reguliert und die Behandlung engmaschig überwacht werden. Da die Behandlung zeitintensiv und mit aufwendigen Untersuchungen verbunden sei, müssten Patientinnen und Patienten außerdem noch mobil und ausreichend belastbar sein. Leqembi werde alle zwei Wochen intravenös verabreicht.
Pfitzer-Bilsing betonte, dass die Wirkung des Medikaments voraussichtlich gering sei. “Es ist unklar, ob der Effekt für die Betroffenen selbst überhaupt spürbar ist.” Andererseits gebe es erste Anzeichen, dass sich die Wirkung mit längerer Einnahme noch erhöhen könne. Weil nur Erkrankte in einem frühen Krankheitsstadium profitierten, sei auch eine Verbesserung der Frühdiagnostik notwendig.
Unklar ist bisher nach Angaben der Wissenschaftlerin, ob und wie sehr Frauen von einer Leqembi-Behandlung profitieren. Während der Krankheitsverlauf laut Studie bei Männern durchschnittlich um 43 Prozent verlangsamt werden konnte, waren es bei Frauen nur 12 Prozent. Rund zwei Drittel aller Menschen mit Alzheimer sind Frauen.
Ende 2021 lebten in Deutschland fast 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Häufigste Demenzursache ist die Alzheimererkrankung. Etwa zwei Drittel davon werden in der häuslichen Umgebung von Angehörigen betreut und gepflegt. Infolge des demografischen Wandels nimmt die Anzahl der Betroffenen weiter zu. Gelingt kein Durchbruch in Prävention oder Therapie, könnten nach aktuellen Schätzungen in Deutschland im Jahr 2050 bis zu 2,8 Millionen Menschen über 65 erkrankt sein.