Daran scheitern Dublin-Abschiebungen
Innenministerin Faeser will Flüchtlinge konsequenter in andere EU-Staaten abschieben. Ein Dokument aus ihrem Haus zeigt jetzt, woran die Abschiebungen scheitern. Es liegt nicht an den Betroffenen.
Sogenannte Dublin-Überstellungen, also die Abschiebung in ein anderes europäisches Land, scheitern selten an den Betroffenen selbst. Von 22.019 gescheiterten Überstellungen im ersten Halbjahr 2014 konnten 7.900 wegen des betreffenden Mitgliedsstaats nicht vollzogen werden, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Clara Bünger hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. In 3.044 Fällen scheiterte es an den Ausländerbehörden, wobei das Dokument dabei in Klammern den Zusatz „Untätigkeit“ anbringt.
Erst an dritter Stelle, in 2.356 Fällen, scheiterte die Überstellung, weil die Person als „untergetaucht“ galt. In fast genauso so vielen Fällen (2.236) wird als Grund „Organisatorisches“ angegeben. Als weitere Gründe werden unter anderem Verwaltungsgerichtsverfahren, die Tatsache, dass jemand nicht angetroffen wurde, fehlende Flugverbindungen, Kirchenasyl oder Reiseunfähigkeit genannt. In 98 Fällen scheiterte die Abschiebung an „Renitenz“.
Dublin-Verfahren in der Kritik
Die Praxis bei Dublin-Überstellungen ist durch das islamistisch motivierte Attentat in Solingen in den Fokus der Politik gerückt. Der mutmaßliche Täter hätte nach Bulgarien zurückgeschickt werden können. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat angekündigt, eine „Dublin-Task-Force“ von Bund und Ländern einzurichten, um Dublin-Überstellungen künftig konsequenter durchzusetzen. Die Ampel-Koalition hat mit einer Reihe gesetzlicher Änderungen die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Abschiebungen erweitert. Umsetzen müssen dies aber Länder und Kommunen.
Nach dem Dublin-Verfahren ist in der Regel der europäische Staat für das Asylverfahren zuständig, über den ein Asylsuchender eingereist ist. Reist der Betroffene in ein anderes Land zurück, kann er zurückgeschickt – im Amtsdeutsch: überstellt – werden. Dafür gilt ab Zustimmung des zuständigen Staates eine Frist von sechs Monaten. Verstreicht sie, ist automatisch der andere Staat zuständig.
Die Antwort aus dem Bundesinnenministerium zeigt auch, dass es in der Debatte um weit weniger Menschen geht als zunächst vermutet. Zwar waren Ende Juni im Ausländerzentralregister 24.872 Menschen registriert, für die ein anderer Mitgliedstaat des Dublin-Abkommens zuständig wäre. Nur 6.840 davon galten aber offiziell als „ausreisepflichtig“. Das Ministerium macht in der Antwort keine Angaben dazu, warum bei der Mehrheit der Fälle keine Ausreisepflicht vorliegt, etwa ob die Überstellungsfrist abgelaufen ist. Überstellt wurden im ersten Halbjahr 3.043 Asylsuchende.
Faeser: “Migrationsdebatte vollkommen außer Kontrolle”
Vor dem Hintergrund der Ankündigung Faesers, Menschen, deren Asylgesuch in einem anderen EU-Staat geprüft werden müsste, die Sozialleistungen zu streichen, kritisierte Bünger die derzeitige Diskussion scharf. „Die Migrationsdebatte ist vollkommen außer Kontrolle geraten“, sagte sie. Sie kritisierte, die Bundesregierung wolle „Geflüchtete aushungern“, um sie zur Ausreise zu zwingen.
Sie lehnte auch den Plan ab, Abschiebungen in andere EU-Staaten konsequenter umzusetzen. „Dublin funktioniert nicht“, sagte sie. „Das ist keine neue Erkenntnis, aber statt die ungerechte Unlogik des Systems zu ändern, nach der vor allem wenige Randstaaten der EU für die Asylprüfung zuständig sein sollen, wird jetzt mit aller Macht versucht, die absurden Regeln in die Praxis umzusetzen“, sagte sie. Die meisten Ersuchen um eine Überstellung richtete Deutschland im ersten Halbjahr an Kroatien, Griechenland, Italien und Bulgarien.