Erneute Wahl-Schlappe für Abtreibungsgegner in den USA

Der Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen wird für die US-Demokraten zum politischen Hebel. Seit dem Grundsatzurteil des Obersten Gerichts zur Abtreibung im Juni 2022 gewinnen sie mit dem Thema Wahlen.

Jetzt auch Ohio. Der republikanisch regierte Bundesstaat, den Donald Trump 2020 mit acht Punkten Vorsprung auf Joe Biden gewonnen hatte, hat ein Recht auf Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs in seiner Verfassung verankert. Rund 57 Prozent der Wählerschaft stimmten bei einem Referendum am Dienstag mit „Ja“. Weder die Warnungen des populären republikanischen Gouverneurs Mike DeWine noch die Stimme der katholischen Kirche konnten das Ergebnis verhindern.

„Heute ist ein tragischer Tag für Frauen, Kinder und Familien in Ohio“, kommentierten die katholischen Bischöfe des Industriestaats im „Rostgürtel“ der USA das Referendum am Mittwoch (Ortszeit). „Wir betrauern, dass die Würde des menschlichen Lebens durch die Doppelzüngigkeit einer Kultur des Todes verhüllt wird.“ Die Kirche werde sich weiterhin für eine Politik einsetzen, die verletzliche Gruppen schütze.

Eine solche Politik wurde von der US-Wählerschaft bisher jedes Mal zurückgewiesen, wenn es zu einschlägigen Abstimmungen kam. Seit das Oberste Gericht im Juni 2022 das liberale Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ kassierte und damit ein halbes Jahrhundert Rechtsprechung zur Abtreibung über den Haufen warf, setzten sich Befürworter eines legalen Zugangs in sieben Referenden durch.

Es begann in Kansas, eigentlich ein konservativer Staat, den Donald Trump 2016 mit 15 Punkten Vorsprung gewonnen hatte. Dort stimmten im Sommer 59 Prozent für ein Recht auf Abtreibung. In Kalifornien, Kentucky, Michigan, Montana und Vermont kam es zu ähnlichen Ergebnissen.

US-Präsident Joe Biden gratulierte den Unterstützern von „Issue 1“ zu ihrem Sieg in Ohio. Vizepräsidentin Kamala Harris kündigte an, das Thema werde auch bei den Kongress- und Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zentral sein: „Extremisten versuchen, ein nationales Abtreibungsverbot durchzusetzen, das die reproduktive Gesundheitsfürsorge in jedem Staat unserer Nation kriminalisiert.“

Diese eigentümliche Formulierung richtete sich unter anderem gegen den republikanischen Gouverneur von Virginia, Glenn Youngkin, der sich an die Spitze der Bewegung für eine nationale 15-Wochen-Fristenregelung mit Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest gesetzt hat. Youngkin hatte bei den Regionalwahlen zum Parlament am Dienstag darauf gehofft, Mehrheiten in beiden Kammern zu gewinnen.

Doch die Demokraten machten Abtreibung zum Top-Thema und verteidigten damit nicht nur den Senat, sondern holten eine Mehrheit im Repräsentantenhaus zurück. Die demokratische Strategin Heather Williams sieht in den Nachwahlbefragungen klare Hinweise darauf, dass die Wählerschaft eine 15-Wochen-Frist nicht wie der Gouverneur als „gesunden Menschenverstand“ werte. Die Menschen wollten überhaupt keine Abtreibungsverbote.

An diese Schlussfolgerung knüpfte auch der Wahlkampf des demokratischen Gouverneurs von Kentucky, Andy Beshear an. In dem Kohlestaat, den Trump mit 26 Prozent Abstand auf Biden gewonnen hatte, verteidigte er in diesem Jahr mit einer aggressiven Kampagne zum Erhalt von Abtreibungsrechten sein Amt gegen einen republikanischen Herausforderer.

Beshear dankte in der Wahlnacht voller Pathos Hadley Duvall, die als Teenager von ihrem Stiefvater vergewaltigt worden war. In einem emotionalen TV-Spot für Beshear hatte sich die junge Frau gegen die republikanische Konkurrenz gewandt: „Einem zwölfjährigen Mädchen zu sagen, dass sie das Baby von ihrem Stiefvater gebären muss, der sie vergewaltigt hat, ist unvorstellbar.“

Das Marktforschungsinstitut TargetSmart sagt voraus, dass das Thema Abtreibung auch bei den Wahlen 2024 ausschlaggebend sein werde. Je mehr die Bürger die Konsequenzen restriktiver Abtreibungsgesetze in den Bundesstaaten zu spüren bekämen, desto größer sei ihre Motivation, wählen zu gehen: „Die erlebte Wirklichkeit ist so viel stärker als alles, was sie sich einmal vorgestellt hatten.“

Die Niederlage der Demokraten am Dienstag bei den Gouverneurswahlen in Mississippi war hingegen erwartet worden. Demokrat Brandon Presley verlor gegen den Republikaner Tate Reeves. Presley war allerdings als sogenannter Pro-Life-Kandidat angetreten.