2019 haben sich Humanmediziner, Veterinärinnen sowie Umwelt- und Sozialforscher der sogenannten One-Health-Kommission zusammengetan – und haben nun erste Ergebnisse und politische Forderungen vorgestellt. Der One-Health-Ansatz erforscht, wie eng menschliche und Tiergesundheit und eine gesunde Umwelt miteinander verwoben sind. Jürgen May, Leiter des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenforschung (Hamburg) und Mitglied der One-Health-Kommission, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), warum die Wertschätzung anderer Lebewesen so wichtig ist.
epd: Wofür steht der One-Health-Ansatz?
Jürgen May: Gesundheit wird nach wie vor aus der Perspektive des Menschen betrachtet, Tiere und unsere Umwelt bleiben Nebensache. Ich habe im Medizinstudium gelernt, wie man Infektionskrankheiten bei Menschen verhindert, sie frühzeitig erkennt und behandelt. Wenn wir das weltweite Infektionsgeschehen begreifen wollen, müssen wir aber auch Tiere berücksichtigen und die Umwelt. Allerdings sehen wir One-Health-Verfechter Tiere nicht nur als Risikofaktoren an. Menschen sollten schon aus eigenem Interesse um das Wohl von Tieren und Umwelt besorgt sein. Es geht letztlich um Wertschätzung.
epd: Im Bericht der One-Health-Kommission formulieren Sie auch politische Forderungen. Was muss passieren?
May: Es braucht endlich umfassende Überwachungssysteme. In Deutschland kümmert sich beispielsweise das Robert-Koch-Institut in erster Linie um Infektionskrankheiten bei Menschen. Mit Mücken und Wildtieren befassen sich andere Forschende, die auch einem anderen Ministerium zugeordnet sind. Oft ohne dass die eine Seite die Daten kennen würde, die die andere erhebt. Dabei könnte man viel lernen. Denn wenn man umfassende Daten zusammenträgt und mit künstlicher Intelligenz auswertet, dann lässt sich ein präziseres Frühwarnsystem bauen.
epd: Treffen Ihre Forderungen denn auf offene Ohren?
May: Über globale Gesundheitsthemen hat man sogar vor Covid mehr gesprochen als heute. Politik und öffentliche Debatte sind mit anderen Themen befasst. Hinzu kommt: Wenn die USA kaum Geld mehr zur Verfügung stellen, um Epidemien einzudämmen, dann macht das auch in anderen Ländern Schule.
epd: Die Covid-Pandemie steckt uns noch in den Knochen. Gibt es derzeit eine Krankheit bei Tieren, die Sie besonders beunruhigt?
May: Das West-Nil-Virus sollte man im Blick behalten. Die Fiebererkrankung verursacht in seltenen Fällen bleibende neurologische Schäden oder endet tödlich. In Berlin, Brandenburg oder Sachsen gab es bereits einige Infektionen. Das Virus wird von Mücken übertragen, nutzt auch Pferde und Vögel als Wirte. Und Zugvögel können das West-Nil-Virus über große Distanzen verbreiten. Pandemien wie Covid werden aber eher durch Atemwegs-Erkrankungen verursacht, die sich schnell von Mensch zu Mensch übertragen. Aber auch ein Virus wie West-Nil wird man schwer wieder los, wenn es sich erstmal in einer Region etabliert hat.
epd: Wie groß ist die Gefahr, dass Krankheiten von Tieren auf Menschen überspringen?
May: Ein großer Teil der weltweiten Infektionen wird durch Tiere übertragen. Wir sprechen dann von Zoonosen. Die treten vor allem in ärmeren, weniger industrialisierten Ländern auf, in denen Tiere und Menschen teils eng zusammenleben und für gute Hygienemaßnahmen Ressourcen fehlen. Weil das Immunsystem von vielen Menschen diese Erreger noch nicht kennt, können sehr viele erkranken. Bei Epidemien und Pandemien spielen Zoonosen daher eine wichtige Rolle.
epd: Werden heute mehr Krankheiten von Tieren auf Menschen übertragen als vor 100 Jahren?
May: Da fehlen uns die Daten, vermuten lässt es sich aber. Menschen dringen immer mehr in die Natur ein, roden Wälder oder veranstalten große Tiermärkte wie im chinesischen Wuhan. Das erhöht das Risiko für eine Übertragung von Tieren, auch von Wildtieren auf den Menschen. Auch der Verlust von Biodiversität macht Zoonosen wahrscheinlicher. Man kann das an pflanzlichen Monokulturen sehen: Die sind viel anfälliger für Infektionen. Und so ist es bei Tieren eben auch. Wenn ein Tier in einer dicht an dicht lebenden Population eine Krankheit hat, kann die sich sehr schnell verbreiten. Das macht auch eine Übertragung auf den Menschen wahrscheinlicher.
epd: Kann man aus den Einsichten der One Health etwas lernen darüber, wie Mensch, Tiere und ihre Umwelt miteinander in Beziehung stehen? Sind sich Menschen und Tiere viel ähnlicher, als man das lange gedacht hat?
May: Teils, teils. Wir wissen mittlerweile, dass Fledermäuse in einigen Hinsichten ein ähnliches Immunsystem haben wie wir Menschen. Zum Beispiel sind Krankheiten wie Ebola von Fledermäusen auf Menschen übertragen worden. Diese Ähnlichkeiten führen dazu, dass Viren und manchmal Bakterien sich verändern und an das andere Wirtstier anpassen. Dann nehmen sie Eigenschaften an, die wieder zurück auf die Menschen übertragen werden können. Auch mit Hausschweinen gibt es so eine Infektionsdynamik, etwa bei Grippeviren.
epd: One Health wirbt für mehr Umsicht: Gesund ist, was meiner Umwelt guttut. Aber aktuelle Gesundheits-Trends drehen sich eher um das gesundheitliche Wohl des Einzelnen.
May: Es gibt so eine Tendenz zum Individualismus bei der Gesundheit. „Wellbeing“ und ein langes, gesundes Leben für einen selbst. Wogegen ja auch nichts einzuwenden ist. Zugleich hält der Trend zu vegetarischer und veganer Ernährung an, weitet sich vielleicht noch aus. Oder nehmen Sie den Einkauf von Fleisch aus zertifizierter Tierhaltung: Wenn die Zucht besser ist und weniger Antibiotika eingesetzt werden, dann entstehen weniger Antibiotikaresistenzen. Die machen gerade älteren Menschen mit einer Lungenentzündung zu schaffen. Die Antibiotika wirken nicht mehr, auch nicht auf der Intensivstation. Das hängt alles miteinander zusammen.