„EKD offen für unterschiedliche Frömmigkeitsstile“ – Vizepräsident Thies Gundlach zu den Auseinandersetzungen im evangelikalen Lager

Vizepräsident der EKD Dr. Thies Gundlach redet im Gespräch mit Rainer Clos darüber, welchen Kurs die EKD einschlagen und welche Leitlinien sie vertreten sollte.

Einen offenen Kurs, der viele verschiedene Meinungen zulässt schlägt Thies Gundlach vor.
Einen offenen Kurs, der viele verschiedene Meinungen zulässt schlägt Thies Gundlach vor.Norbert Neetz / epd-bild

Frankfurt a.M./Hannover. Vizepräsident Thies Gundlach vom EKD-Kirchenamt weist den Vorwurf zurück, in der evangelischen Kirche würden Irrlehren vertreten. Es gehöre "zum großen Garten Gottes", dass in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von evangelikalen Positionen bis zu liberalen Überzeugungen verschiedene Glaubenshaltungen vertreten seien. Diese wirkten dann gut zusammen, "wenn niemand mit der Kategorie ‚Irrglauben‘ hantiert", sagt Gundlach dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Wahl von Präses Michael Diener in den Rat habe deutlich gemacht, dass die EKD für unterschiedliche Frömmigkeitsstile sehr offen sei. Mit Äußerungen zum Verhältnis der Evangelikalen zur EKD, zu Homosexualität und Mission war Diener, der auch Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz ist, im evangelikalen Lager auf zum Teil heftigen Widerspruch gestoßen. 
epd: Im glaubenskonservativen Spektrum der evangelischen Kirche gibt es eine Kontroverse darüber, welchen Kurs evangelikale Christen verfolgen sollen. Anlass sind Äußerungen von Michael Diener, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und Ratsmitglied der EKD, in einem Interview zur Haltung der evangelikalen Bewegung zur EKD, zu Homosexualität und zu Mission. Wie bewerten Sie diese Auseinandersetzung? Was bedeutet der Streit im evangelikalen Lager für das Verhältnis der unterschiedlichen Frömmigkeitsstile im deutschen Protestantismus?
Thies Gundlach: Ich habe eine Art Déjà-vu-Erlebnis; in den 80er Jahren gab es schwere Auseinandersetzungen zwischen den Evangelikalen und vielen anderen Christen um die Fragen zur theologischen Bedeutung und Bewertung von Homosexualität. 30 Jahre später steigen die gleichen Akteure mit den gleichen Argumenten noch einmal in den Ring und sehen wieder den Glauben in Gefahr. Die Schärfe dieser Intervention heute lässt mich vermuten, dass sich darin auch viel Enttäuschung ausdrückt, weil der damalige Kampf doch letztlich vergeblich war. Eine differenzierte Sichtweise der Bibel und das Wissen um die Vielfalt der Auslegungswege sind damals wie heute nicht mit Machtworten der Eindeutigkeit oder mit Beschwörung von Bekenntnistreue vom Tisch zu wischen.
epd: Wie ist der Streit über die Wahrheitsfrage stattdessen auszutragen?
Gundlach: Die Bibel ist Gottes Wort Jesus Christus, aber dieses Wort ist in die Welt zum Menschen gekommen und bedarf darum der menschlichen Kunst der Auslegung. Und haben wir in unserer Kirche dafür nicht längst eine andere Art von Diskurs erreicht: Suchend nach dem jeweiligen Wahrheitsmoment des anderen, fragend nach der bleibenden Gemeinschaft in allen Unterschieden, hoffend auf eine Zuversicht, die ebenso selbstkritisch und reflektiert wie bibeltreu und bekenntnisstark ist? Ich bedaure den nun von manchen angeschlagenen scharfen Ton, denn mit Michael Dieners Wahl in den Rat der EKD ist doch sichtbar geworden, dass die EKD sehr offen ist für unterschiedliche Frömmigkeitsstile. 
epd: In seiner Kritik an Diener fordert der langjährige CVJM-Generalsekretär Ulrich Parzany "entschiedenen Widerstand gegen die Irrlehren", die in den evangelischen Kirchen vertreten und gefördert würden. Er regt zum Reformationsjubiläum 2017 einen bundesweiten "Bekenntnistag" an, der zur Orientierung der Christen beitragen und gegen bibelkritische Tendenzen in den Kirchen Position beziehen soll. Was entgegnen Sie auf den Vorwurf der Irrlehre?
Gundlach: Der Vorwurf von Ulrich Parzany ist doch weder neu noch zutreffend; ich sehe allerdings mit Kummer, wie schwer es diesem großartigen Prediger fällt, jenseits seiner eigenen Überzeugungen anderes als Irrlehren zu erkennen. Ich persönlich habe auch gar nichts gegen einen "Bekenntnistag" 2017, denn es gehört zum großen Garten Gottes, dass wir in der EKD von evangelikalen Positionen bis zu liberalen Überzeugungen viele verschiedene Glaubenshaltungen beherbergen, die dann sehr gut zusammenwirken, wenn niemand mit der Kategorie "Irrglauben" hantiert. Denn auch Bruder Parzany weiß natürlich, dass die Wahrheit Gott gehört und nicht einem Menschen, und dass Gottes Wege zum Menschen groß und weit sind, weil seine Güte reicht, so weit der Himmel ist.
epd: Ein wiederkehrender Konfliktpunkt ist das Thema Judenmission. In einem neuen Vatikandokument erteilt die katholische Kirche institutioneller Judenmission eine klare Absage. Die EKD-Synode hat sich im November von den judenfeindlichen Äußerungen Martin Luthers (1483-1546) distanziert. Wird die evangelische Kirche bis 2017 ihre Haltung zur umstrittenen Judenmission klären?
Gundlach: Die Synode der EKD hat das Präsidium der Synode beauftragt, einen Klärungsprozess zu dieser Frage anzuregen; das Kirchenamt der EKD plant darum einen Studientag zum Thema, um Geschichte und Gegenwart der Diskussion dieser Frage aufzuarbeiten und ein Votum vorzubereiten. Es werden alle Positionen zu diesem Thema aufgerufen und dann zu klären sein, ob wir zu einem gemeinsamen Votum finden. Die Spannweite zu diesem Thema ist in der Sache und darum auch in unserer Kirche sehr groß: Vom Bekenntnis zu dem einem Herrn Jesus Christus, der für alle Menschen der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, bis zur sogenannten Zwei-Wege-Theorie, die in der Gründung des Staates Israel ein Zeichen der Treue Gottes zur bleibenden Erwählung Israels sieht und so die Mission unter Juden kategorial ausschließt, sind die Wege sehr, sehr weit. Ich hoffe, dass wir unterwegs auf Brücken und nicht auf Zäune stoßen. (epd)