Einzigartigkeit Jerusalems als Stadt dreier Religionen bewahren

Eine Trennung von Religion und Staat, wie etwa in Deutschland, ist hier undenkbar. In Jerusalem treffen sich die Ursprünge von Judentum, Christentum und Islam, die arabische und die westliche Welt auf engstem Raum.

Jerusalem ist für sie alle heilig: für Juden, für Christen und für Muslime. Und jede der abrahamitischen Religionen hat ihre besondere Sicht auf die Heilige Stadt. Aber die Einzigkeit Jerusalems besteht darin, dass Angehörige der drei Religionen hier auf engsten Raum zusammenleben; dass sie hier ihre historischen Anfänge lokalisieren; und dass sich hier eine Vielzahl von Heiligen Stätten konzentrieren. Dieser universelle Charakter der Heiligen Stadt setzt ein gleichberechtigtes interreligiöses Mit- und Nebeneinander voraus. Gefährlich wird es, wenn eine Seite eigene Ansprüche auf Kosten und zu Lasten anderer geltend macht und durchsetzt.

Anschaulich wird diese komplexe Situation durch eine neue Studie und ein 3D-Modell Jerusalems. Der Anwalt Danny Seidemann, Leiter der Nichtregierungsorganisation “Terrestrial Jerusalem” und anerkannter Experte für die Geopolitik Israels, hat rund 700 religiöse Orte und Stätten von Juden, Christen und Muslimen in der Jerusalemer Altstadt und ihrer Umgebung ermittelt – und in seinem Modell mit gelben, grünen und blauen Punkten markiert: rund 270 christliche, 200 muslimische und 100 jüdische, dazu zahlreiche Stätten des Weltkulturbes der Unesco.

Das Modell wurde jetzt von den deutschen diplomatischen Vertretungen aus Tel Aviv und Ramallah im Jerusalemer Paulus-Haus am Rand der Altstadt gegenüber den Damaskus-Tor vorgestellt. Später soll es auch als Poster in DIN-A3-Format zu Bildungszwecken genutzt werden, um die geografische Nähe der Heiligen Stätten aller abrahamitischen Glaubenstraditionen in der Stadt zu veranschaulichen, so die Initiatoren.

Jerusalem sei, führte Seidemann aus, “Treffpunkt von Zivilisationen. Hier treffen sich die Ursprungsstätten von Judentum, Christentum und Islam, die arabische und die westliche Welt in einem kleinen geographischen Platz.” Es gebe hier eine Konzentration von religiösen Stätten und Kulturorten wie an keiner anderen Stelle der Welt. Die drei Religionen hätten die Stadt immer wieder neu gestaltet – in Abhängigkeit und auch in Abgrenzung. Aber alle drei gehörten hierher und seien unverzichtbarer Teil Jerusalems. Die religiöse Stätten seien nicht ohne einander zu denken.

Jerusalem sei stabil, wenn jeder sich nach seinen Regeln verhalten und äußern und gleiche Rechte in Anspruch nehmen kann, so der Autor. Es gebe aber Fälle, wo eine der drei Seiten Überlegenheit, einen Vorrang gegenüber anderen beansprucht und die Interessen von anderen ausblendet – hier die jüdische Seite gegenüber Christen und Muslimen. “Dann wird Jerusalem zu einem sehr gefährlichen Ort. Denn was in Jerusalem passiert, hat Resonanz in der ganzen Welt.”

Derzeit, sagte Seidemann, “sehen wir in Jerusalem Bedrohungen durch politische Entscheidungen der israelischen Regierung, die extreme Siedlerorganisationen sowie die Tempelberg-Bewegung unterstützt, die die christliche, muslimische, palästinensische Präsenz gefährden” und den Charakter Jerusalems erheblich veränderten. “Und das führt zu große Unruhe und Sorge”, so der Spezialist für Landstreitigkeiten in Ostjerusalem, der bereits mehrere Fälle vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt hat.

Der Lateinische Patriarch, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, unterstrich in seiner Ansprache die einzigartige Bedeutung Jerusalems für die Christen – als historischer Ort der christlichen Heilsgeschichte. Doch Jerusalem sei nur komplett durch die Präsenz und das Mit- und Nebeneinander der drei abrahamitischen Religionen. Es sei nicht die Heilige Stadt nur einer Religion. Wenn eine oder zwei Religionen fehlten oder ausgeklammert würden oder wenn eine Religion auf Kosten oder zu Lasten der anderen Vorteile für sich in Anspruch nimmt und durchsetzt, sei Jerusalem nicht mehr die Heilige Stadt.

Es gehe dabei nicht um eine Internationalisierung Jerusalems, sondern um seine Universalität, stellte der Kardinal klar. Die Christen seien Bürger Jerusalems und nicht nur willkommene Gäste. Er betonte, dass Religion und Politik hier eng, ja untrennbar miteinander verflochten seien. Religiöse Vorgänge und Maßnahmen hätten immer auch eine politische Dimension, mit politischen Erwartungen und Interessen – und umgekehrt.

Eine Trennung von Kirche und Staat, wie etwa in Deutschland, ist hier undenkbar. Der Status Jerusalems ist politisch weiter ungelöst, er sei diplomatisch noch nicht ausverhandelt, hieß es bei der Präsentation. Die Annexion des Ostteils der Stadt und das Gesetz von 1980, das ganz Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärt, wird von den wenigsten Staaten anerkannt. Die meisten Länder unterhalten ihre Botschaften weiter in Tel Aviv; nur sehr wenige haben sie nach Jerusalem verlegt. Die Idee vom universalen Jerusalem muss weiterentwickelt und sprachlich formuliert werden.