„Einer der schönsten Forstbetriebe Deutschlands“

Manchmal, wenn ihn das Alltagsgeschäft nicht völlig vereinnahmt, tritt Karsten Sierk einen Schritt zurück und wird demütig. „Ich bin nur ein kleines Zahnrad“, findet der Loccumer Klosterförster. „Ich führe fort, was andere hier seit 860 Jahren getan haben.“ Er mustert den dicken Stamm einer Eiche, fühlt die tiefen Furchen der Rinde. „Die wird uns noch alle überleben“, sagt er.

Karsten Sierk ist in Loccum eine Institution. Bei seinen Rundgängen im Wald wird er immer wieder von Spaziergängern angesprochen. Seit 32 Jahren ist er für den Forstbetrieb des Klosters verantwortlich, dazu gehören auch eine Rinderherde, die Pflege des Klosteraußengeländes und die Verwaltung des Klosterfriedhofs. Im April wird der dann 66-Jährige in Ruhestand gehen, seine Nachfolge ist schon geregelt.

Die 650 Hektar große Forstfläche des Klosters Loccum umfasst sechs Waldgebiete unterschiedlicher Größe. Der historische Baumbestand wird vom Kloster seit 860 Jahren selbst bewirtschaftet und bejagt. „Es ist einer der ältesten und schönsten Forstbetriebe Deutschlands“, sagt Sierk. „Es ist toll, so eine lange Zeitspanne hier arbeiten zu dürfen.“

Während sein Vorgänger sogar auf dem Klostergelände geboren wurde, kam Karsten Sierk über Umwege nach Loccum. Er stammt aus dem Land Wursten zwischen Bremerhaven und Cuxhaven an der Nordseeküste. In seinem Heimatort Spieka-Neufeld lebte die Hälfte der rund 300 Einwohner von Krabbenfischerei, die anderen waren Landwirte. Seine erste berufliche Station war das Niedersächsische Landgestüt Celle. Mit Anfang 20 bildete Sierk als Berufsreiter Junghengste aus, zwischendurch leistete er seinen Dienst bei der Marine ab. Später holte er sein Abitur nach und studierte in Göttingen Forstwirtschaft. Er fand schnell eine Anstellung im kommunalen Dienst und arbeitete fünf Jahre als Förster für die Stadt Uelzen.

Dann wurde er auf die Stelle in Loccum aufmerksam. „Es war ein interessantes Verfahren“, erinnert sich Sierk. Aus mehr als 80 Bewerbungen wurden sechs Kandidaten eingeladen. „Freitagabends konnte man den Vermögensverwalter des Klosters anrufen, ob man zu den letzten zweien gehörte.“ Am Samstag wurde er zum Gespräch in die Bischofskanzlei in Hannover geladen („Aber bitte mit Krawatte!“) und war etwas nervös ob der kommenden Fragen. Landesbischof Horst Hirschler fragte den Bewerber, wer ihn getauft und konfirmiert habe und wer zu seiner Göttinger Zeit Superintendent gewesen sei (Hirschler selbst). Sierk antwortete und entschied sich dann für die Flucht nach vorn: „Mehr dürfen Sie kirchlich von mir nicht erwarten.“ Tatsächlich ging es dann nur noch um die Berufspraxis – er bekam den Job.

Die wichtigste Vorgabe lautete: Der Betrieb soll laufen und dem Konvent des Klosters keine Probleme bereiten. Zum Kerngeschäft gehört der Verkauf von Holz an Sägewerke und Holzhändler. „Wir stellen einen möglichst hochwertigen Rohstoff bereit, vom Furnierholz für den Möbelbau bis zum Brennholz.“ Der Klosterforstbetrieb liefert zudem über eine eigene Hackschnitzelanlage die im Kloster benötigte Wärmeenergie. Auch der Friedhof muss sich wirtschaftlich tragen.

Ein Herzensanliegen ist dem Loccumer die Wissensvermittlung. Viele Menschen, nicht nur Schulkinder, wüssten nur noch wenig über den Wald und das richtige Verhalten in der Natur. Bei aller Freude an seinem Tun frustrieren den Förster die zunehmende Trockenheit, der Kampf gegen den Borkenkäfer und die Notwendigkeit, kranke Bäume fällen zu müssen. „Es ist deprimierend, dass die Klimaveränderungen zum Ende meiner Dienstzeit so rasant zunehmen“, sagt Sierk. „Wir brauchen dringend Antworten.“ Die Waldbilder veränderten sich enorm. „Was wir hier entscheiden, sind Entscheidungen für die nächsten 100, 200 Jahre. Ob sie richtig sind, wissen wir nicht.“

Der 65-Jährige hat inzwischen drei Äbte, vier Vermögensverwalter und sieben Studiendirektoren des Loccumer Predigerseminars erlebt. Seine Maxime war immer: „Wir decken hier das Weltliche ab.“ Ihm sei es stets wichtig gewesen, ein „Hörrohr“ für den Ort zu sein. Während manche Theologen in ihrer eigenen Blase lebten, verstand er sich als Bindeglied zur Bevölkerung. Seit Jahrzehnten prägen seine Frau Annette und er die Geschicke des Blasorchesters der Freiwilligen Feuerwehr und engagieren sich in zahlreichen Ehrenämtern. Darüber hinaus übernahm der Tenor-Saxophonist Vorstandsämter im Verschönerungsverein, in der Bürgerstiftung, der Jagdgenossenschaft und bei den Rotariern. Auch der Kirchenkreis- und der Landessynode gehörte Sierk über viele Jahre an.

Nun geht es für ihn darum, den eigenen Übergang zu gestalten. Er wird weiterhin in Loccum wohnen, wahrscheinlich auch im Ruhestand Waldführungen anbieten. Der Kirche wird er ebenfalls verbunden bleiben. Um deren Zustand ist er mindestens so besorgt wie um den des Waldes. „Wir brauchen in der Kirche mehr Mut zu Veränderungen“, sagt Sierk. „Wenn man gerade reingeht und krumm wieder rauskommt, stimmt etwas nicht.“