Eine Herberge für Wildbienen und Mauersegler
„Da oben nisten sie.“ Hans-Jürgen Ratsch legt den Kopf in den Nacken und deutet hoch auf den Kirchturm. Dort, in zehn bis zwölf Metern Höhe, hängen zwölf Nistkästen mit Einfluglöchern für Mauersegler im Wind. Die Zugvögel lassen sich seit Jahren hier in Langenhagen bei Hannover nieder, wenn sie von Mai bis August ihre Quartiere in Afrika verlassen und in Mitteleuropa ihren Nachwuchs aufziehen. „Die sind unsere Luftwaffe gegen Mücken“, sagt Ratsch, der sich ehrenamtlich für den Naturschutz in der Gemeinde engagiert. „Ein Mauersegler vertilgt rund 1.500 Mücken pro Tag.“
Nicht nur die Mauersegler sind gern gesehene Gäste an der Pauluskirche in Langenhagen, sondern auch Schleiereulen, Fledermäuse, Eichhörnchen, Igel, Singvögel aller Art, Wild- und Honigbienen und sogar Steinmarder. Denn die evangelische Gemeinde beteiligt sich am Projekt „Biodiversitäts-Check in Kirchengemeinden“, das Orte rund um Kirchen und Friedhöfe zu Plätzen der biologischen Vielfalt machen will. „Wir versuchen, überall Möglichkeiten und Kompromisse zu finden, damit der Artenschutz trotz des Denkmalschutzes Wirklichkeit wird“, sagt Umweltreferentin Mona Gharib, die das Projekt in der evangelischen Landeskirche Hannovers leitet.
Das Potenzial dafür ist groß. Rund 23.000 evangelische und katholische Kirchengemeinden gibt es in Deutschland. Und von den bundesweit rund 32.000 Friedhöfen ist nach Schätzungen mehr als die Hälfte in kirchlicher Trägerschaft.
In Langenhagen haben sich der pensionierte Biologie-Lehrer Hans-Jürgen Ratsch (67) und seine Tochter, die Kirchenvorsteherin und Verwaltungsbeamtin Carolin Ratsch (32), ehrenamtlich zu „Schöpfungsbotschaftern“ fortbilden lassen. Von Gharib erhalten sie Tipps, wie sie den Natur- und Artenschutz rund um ihre Kirche konkret umsetzen können. Das Geheimnis dabei: eine vielfältige Pflanzenwelt, damit möglichst viele Tiere dort Nahrung und Lebensraum finden.
Eine herkömmliche Hecke etwa biete Nahrung für nur drei bis fünf Käferarten, sagt Hans-Jürgen Ratsch. „Aber wenn ich Weißdorne hineinbringe oder Passionsblumen, wilde Rosen, Schlehe oder Haselnuss, dann habe ich auf einmal eine riesige Angebotspalette für Insekten. Dann können hier 30, 40 oder sogar 400 Arten konsumieren.“ Fehlen hingegen die Insekten, weil sie nichts mehr zu fressen finden, bleiben auch Insektenfresser wie Vögel oder Fledermäuse weg.
Carolin Ratsch schnappt sich eine Leiter und steigt aufs Dach der pfarramtlichen Garage. Hier oben schützte einst nur Teerpappe das Dach. Jetzt gibt es auf Vorschlag von Gharib eine Dachbegrünung mit flach wurzelnden Stauden wie der dickblättrigen Hauswurz oder der gelb blühenden „Feurigen Fetthenne“. Auch hier oben finden Insekten jetzt Nektar, um überleben zu können. Zudem haben die Stauden für die Garage einen isolierenden Effekt: „Im Sommer wird es nicht zu heiß und im Winter nicht zu kalt.“
Ein paar Meter weiter summt und brummt es vor dem Bienenhotel, das mit seinen kleinen Einfluglöchern Nistplätze für Holz bewohnende Wildbienen bietet. „Da fliegt gerade wieder eine hinein, ihr Unterleib ist ganz gelb von Nektar“, ruft Hans-Jürgen Ratsch und blickt dem winzigen Insekt hinterher. Mit seinem geschulten Auge kann er die Arten im Flug voneinander unterscheiden. Wildbienen werden dringend gebraucht, um Wildpflanzen zu bestäuben – dort, wo Honigbienen nicht hinkommen, erläutert Ratsch. Normalerweise nisten sie in Totholz. „Doch das wird von Menschen oft weggeräumt, weil es nicht schön aussieht.“
Rund 100 „Schöpfungsbotschafter“ hat Gharib seit 2021 bereits ausgebildet. Bei dem Projekt arbeiten die evangelischen Landeskirchen Hannovers und Westfalens mit dem katholischen Erzbistum Köln zusammen – das Bundesumweltministerium stellt 3,5 Millionen Euro dafür bereit. Für die Gemeinden ist die Teilnahme kostenlos. Sie bekommen alles bezahlt, wenn sie die Vorschläge umsetzen, die sie gemeinsam mit Gharib in Workshops entwickelt haben. „Gott hat nicht nur den Menschen geschaffen, sondern auch Tiere und Pflanzen“, sagt Gharib.
In Langenhagen haben sie hinter der Kirche auch einen Libellen-Teich angelegt, etwas versteckt in der Ecke, damit keine Gefahr für Kinder besteht. „Tiere brauchen Wasserstellen, denn Wasser ist die Grundlage des Lebens“, sagt Carolin Ratsch. Und in den Bäumen gleich nebenan finden sich Kobel für Eichhörnchen und Nistkästen für Fledermäuse. Mit Eingang von unten, die Tiere mögen es so. „Abends kann man hier die Fledermäuse jagen sehen“, sagt Hans-Jürgen Ratsch. „Das ist schon wunderschön.“