Eine Auszeit vom Krieg
Ein bisschen Deutsch haben Kateryna und Anastasia schon aufgeschnappt. „Stilles Wasser“ und „Sprudelwasser“, „komm zu mir!“, „alles gut?“, „essen“ und „Wasserspiele“ zählen die beiden 21-jährigen Ukrainerinnen lachend auf. Einen Monat lang halfen die jungen Frauen als ehrenamtliche Betreuerinnen bei der Stadtranderholung in Ludwigshafen mit. Sie spielten bei dem kommunalen Ferienangebot mit Kindern, machten Ausflüge: Nun geht es wieder zurück in ihre Heimatstadt Swjahel, die im russischen Angriffskrieg immer wieder unter Beschuss gerät.
Kateryna, die im Kultur- und Tourismusbüro von Swjahel arbeitet, und die Studentin Anastasia haben ihre Auszeit vom Krieg genossen: „Wir wollen etwas Gutes tun“, sagt Anastasia. In ihrer 56.000 Einwohner zählenden Heimatstadt im Norden der Ukraine haben sie bereits in einem Feriencamp für Kinder mitgeholfen. In Ludwigshafen hätten sie nun in einer Zeltstadt am See „Große Blies“ für 200 Teilnehmende einen Eindruck davon bekommen, wie hierzulande mit Kindern gearbeitet wird, erzählen die beiden Ukrainerinnen.
Seit fast zwei Jahren pflegen Ludwigshafen und Swjahel eine Städtepartnerschaft. Die Initiative dazu kam vom Verein Kinderhilfe Ukraine Rhein-Neckar für Novograd-Volynskij, der unter anderem für ukrainische Kinder und Jugendliche Ferienaufenthalte sowie einen Freiwilligen-Austausch organisiert. Kateryna und Anastasia, die sich aus ihrer Studienzeit kennen, meldeten sich als Betreuerinnen für die Sommerfreizeit und reisten per Bus die rund 1.700 Kilometer an: Sie wohnten in einem Raum der protestantischen Jugend- und Versöhnungskirche Ludwigshafen. Die Kosten des Aufenthalts trägt die Kinderhilfe Ukraine Rhein-Neckar vor allem über Spenden, erzählt die Vereinsgründerin Valentina Sobetska.
Viele Kinder in der Ukraine seien durch den Krieg traumatisiert, manche hätten Angehörige verloren oder der Vater sei als Soldat in Gefangenschaft, berichtet Kateryna von ihren Erfahrungen aus einem Sommercamp in ihrer Heimatstadt. „Sie sprechen nicht, sie brauchen Zeit, sich zu öffnen.“ Der Umgang mit den Kleinen falle nicht leicht, man wolle die Gefühle der Kinder nicht verletzen, ergänzt Anastasia. „Wir haben aber keine psychologische Bildung, manchmal wissen wir nicht, was wir tun sollen.“
Gut gefallen hat den beiden Freiwilligen bei ihrem Aufenthalt in Deutschland, dass Kinder angstfrei ihre eigene Meinung äußerten. In der Ludwigshafener Stadtranderholung hätten die Kleinen selbst die Workshops ausgewählt und gewagt, Dinge auszuprobieren. Anders sei es in der Ukraine: Dort werde Kindererziehung noch immer das sozialistische Wettbewerbsdenken im Sinne eines „alle machen jetzt zusammen alles“ propagiert, berichten Kateryna und Anastasia.
Auch seien ukrainische Kinder offenbar mehr auf Konsum und Äußerlichkeiten aus als Altersgenossen hierzulande, glaubt Anastasia. Handys und schöne Klamotten seien für sie wichtige Statussymbole.
Das Thema Krieg versuchen die beiden Freiwilligen während ihres Besuchs auszublenden. „Fährst Du zurück, hast Du keine Angst?“, hätten ukrainische Zwillinge gefragt, die mit ihren Eltern vor dem Krieg geflohen sind, erzählt Anastasia. Sie will wieder heimreisen, auch wenn sie „gemischte Gefühle“ hat, wie sie sagt. Für Kateryna stellt sich die Frage „bleiben oder zurück“ nicht. „Ich vermisse meine Familie“, sagt sie.
Kateryna und Anastasia geben die Hoffnung nicht auf, dass der Krieg bald zu Ende ist. Die Ukrainer dächten nicht über eine mögliche Niederlage nach. Sie kämpften „weiter für ein freies Land“, sagt Kateryna. Und sie fügt an: „Ich will in Ruhe ohne Störung leben. Ich will mein früheres, sicheres Leben zurück.“