Ein Slogan aus Hamburg befeuerte die Studentenbewegung

Das hätten sie sich nicht träumen lassen: Mit einem simplen Reim sorgten zwei Studenten vor 50 Jahren für Furore auf einer Feier an der Uni Hamburg. Der Slogan der Studentenbewegung war geboren und befeuerte den Kampf gegen den Muff.

Detlev Albers (l.) und Gert Hinnerk Behmler (r.) entrollten das Transparent
Detlev Albers (l.) und Gert Hinnerk Behmler (r.) entrollten das Transparentdpa

Hamburg. Die "allerstursten Sturköpfe" hätten in den Uni-Gremien gesessen und die Studenten "wie dumme Jungen" behandelt. Sie sollten "studieren und ansonsten den Mund halten", erzählt Gert Hinnerk Behlmer heute über seine Studentenzeit in den 1960er Jahren. Kein Wunder, dass der damals 24-Jährige einen Reim ersann, der zur berühmtesten Parole der deutschen Studentenbewegung werden sollte: "Unter den Talaren Muff von 1.000 Jahren", schrieb er auf ein Transparent, das er am 9. November 1967 gemeinsam mit seinem Kommilitonen Detlev Albers bei einer Feierstunde in der Hamburger Universität enthüllte.
Zur feierlichen Amtsübergabe der Rektoren hatte sich die Prominenz der Hansestadt im Auditorium Maximum versammelt. Auch die Presse war anwesend. Als der ehemalige Rektor, Professor Karl-Heinz Schäfer, und sein Amtsnachfolger, Professor Werner Ehrlicher, feierlich in ihren langen, schwarzen Talaren die Treppe hinunterschritten, entrollten die mutigen ehemaligen AStA-Vorsitzenden ihr Transparent.

Professoren merkten nichts

Weil die Professoren hinter ihnen liefen, konnten sie zunächst nicht sehen, was in großen Lettern mit Leukoplast darauf geschrieben war. Sie wunderten sich kurz, dass die Presse zahlreiche Fotos schoss, liefen aber brav hinter den Trägern her. Als der Zug schließlich auf der Bühne ankam und sich umdrehte, merkten die Professoren und die Gäste im Saal, was Sache war. Die Studenten riefen Bravo, die Professoren schimpften. "Ihr gehört ins KZ!", rief einer der Universitätslehrer aus dem Publikum.
Dass der Spruch als Anspielung auf das 1.000-jährige Reich der Nazis gedeutet werden könnte, war Behlmer damals ebenso wenig bewusst wie die symbolträchtige Bedeutung des Datums 9. November. Die Inspiration zu seiner Formulierung hatte er nach heutigen Erzählungen eher zufällig auf dem Campus gefunden: "Es mieft in der Universität, und das seit 100 Jahren", hatte dort an einem Bauzaun gestanden. Behlmer machte einen Reim draus und hängte eine Null an die 100.

Protest gegen Wohlstandsgesellschaft

Was kaum jemand weiß: Auch das Transparent, das die beiden Studenten trugen, barg eine große Symbolik. Das schwarze Stück Stoff stammte von der Trauerfeier für den erschossenen Studenten Benno Ohnesorg in Hannover. Behlmer hatte es im dortigen Umzug mitgetragen und als Andenken mit nach Hause genommen.
Die Aktion in Hamburg ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als die Studentenproteste in ganz Westdeutschland bereits in vollem Gange waren. Sie wandten sich unter anderem gegen die Wohlstandsgesellschaft, die atomare Aufrüstung und das Verharren von NS-Tätern in Machtpositionen. Ein Protestmarsch, bei dem am 2. Juni 1967 in Westberlin Hunderte gegen den Besuch des Schahs von Persien demonstrierten, war einer der Höhepunkte. Die Ordnungskräfte gingen massiv gegen die Demonstranten vor; der von einem Polizisten erschossenen Student Benno Ohnesorg wurde zur Ikone.

Transparent-Träger machten Karriere

Doch schon bald darauf verlor die Studentenbewegung an Schlagkraft. Übrig blieb lediglich ein militanter Kern, aus dem unter anderem die Rote Armee Fraktion (RAF) hervorging. Ohne Wirkung blieb sie dennoch nicht, sorgte sie doch für eine der weitreichendsten Reformen an Deutschlands Hochschulen, die in den 1970er-Jahren ihre Lehrpläne änderten und fortan auch die Mitwirkung der Studenten bei hochschulpolitischen Fragen zuließen. Der "Muff" verzog sich allmählich.
Die beiden Hamburger Studenten, die damals das Transparent in den Hörsaal trugen und sich deswegen in einem universitären Disziplinarverfahren verantworten mussten, machten übrigens Karriere. Detlev Albers wurde 1979 Professor für Politik an der Uni Bremen, wo er auch SPD-Vorsitzender war. Er starb 2008. Gert Hinnerk Behlmer war von 1994 bis 2004 Staatsrat in Hamburg, zuerst in der Senatskanzlei und später in der Kulturbehörde. Er lebt bis heute in der Hansestadt, wo er sich ehrenamtlich engagiert und gelegentlich auch öffentlich auftritt – das nächste Mal bei einem Podiumsgespräch, das die Uni am 9. November zum Gedenken an die Ereignisse vor 50 Jahren veranstaltet. (KNA)