Ein Protestmarsch auf 500 Kilometern
Quer durch Deutschland tragen sie ein Holzkreuz, von Gorleben bis Garzweiler. Beim Kreuzweg für die Schöpfung wollen Demonstranten nicht nur gegen Atomkraft protestieren.
Celle / Gorleben / Lützerath. Jonas lehnt das mehr als zwei Meter hohe Holzkreuz an einen Baum, das er den Tag über viele Kilometer weit getragen hat. Der 27-Jährige, der lieber nur beim Vornamen genannt werden möchte, will das gelbe Kreuz rund 470 Kilometer weit begleiten, vom niedersächsischen Gorleben bis nach Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen – meist zu Fuß. „Es ist eine Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen“, sagt er in Celle nach der fünften von 26 Etappen des „Kreuzweges für die Schöpfung“.
Jonas lebt mittlerweile in Lützerath, wo der Weg am 1. August enden soll. In dem vom Braunkohleabbau bedrohten Dorf an der Tagebaukante Garzweiler stehen inzwischen die meisten Häuser leer. „Ich bin über den Protest auf den Ort aufmerksam geworden“, sagt Jonas. Der Aktivist von „Alle Dörfer müssen bleiben“ verweist auf eine Studie, nach der der Tagebau schnell gestoppt werden müsste, wenn Deutschland seinen Teil zur Einhaltung der Erderwärmung von maximal 1,5 Grad Celsius beitragen will. „Wenn Lützerath fällt, reißen wir die Klimaziele.“
Historische Vorbilder
Dass er und die anderen mit wechselnder lokaler Unterstützung jetzt durch die norddeutsche Provinz wandern, ist einem Zusammenschluss mit der Anti-Atom-Bewegung im niedersächsischen Wendland zu verdanken. Am Anfang stand eine gemeinsame Videokonferenz, berichtet der evangelische Pastor Eckhard Kruse aus Gartow nahe Gorleben. „Zwar ist die Endlagerfrage etwas anderes als der Braunkohleabbau. Aber beides hängt doch zusammen.“ Gemeinsam entwickelten sie die Idee des Kreuzweges, der in der Region um Gorleben historische Vorbilder hat.
Zum Abendbrot vor dem Gemeindehaus in Celle ist auch Pastorin Antje Seelemeyer aus dem Ort gekommen. Sie hat einen großen Pott Möhrensuppe mitgebracht und ein Fotoalbum mit Erinnerungen. Die 60-Jährige war bei ersten „Kreuzweg für die Schöpfung“ dabei, der 1985 vom Kraftwerk Krümmel bei Hamburg nach Gorleben führte. „Es war eine hochpolitische Zeit damals“, sagt sie. Friedensdemos, Eine-Welt-Gruppen, der Einsatz für weltweite Gerechtigkeit, kommen ihr in den Sinn, während sie im Album blättert.
Als legendär gilt der Kreuzweg 1988 von Wackersdorf, dem geplanten Standort einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage, nach Gorleben, wo der Salzstock als mögliches Endlager erkundet wurde. 6.000 Menschen beteiligten sich daran. Einige von ihnen haben ihren Nachfolgern eine Dokumentation mit auf den Weg gegeben – und das gelbe Kreuz. Es erinnert bewusst an das gelbe X, das für den Protest rund um Gorleben steht.
„Auch mein Dorf ist bedroht“
In Celle ist es der harte Kern der Gruppe, der zur nächsten Etappe aufbricht. Knapp zehn Frauen und Männer, die unterwegs immer wieder mal mit deutlich mehr Unterstützern rechnen. Bina und Michel Friedrich aus Wedel bei Hamburg gehören dazu. Sie sind beim Urlaub im eigenen Land im vergangenen Corona-Sommer mitten in den Protesten im Rheinland gelandet und dann dabei geblieben. „Wir wohnen 500 Meter vom Deich entfernt“, sagt der Lehrer. „Auch die Dörfer meiner Heimat sind bedroht, wenn der Meeresspiegel steigt.“
Andachten an der Abbruchkante
Negen Jansen und Gudula Frieling gehören zur Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“, die regelmäßig an der Abbruchkante des Tagebaus Andachten hält und dabei auch an die weltweiten Opfer des Klimawandels erinnert. Weitere Etappen ihres Weges werden Orte wie das Atomkraftwerk Grohnde bei Hameln sein, der Schlachthof Tönnies und die Zentrale des Energiekonzerns RWE in Essen.
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In Gorleben endeten die Kreuzwege in einem Wald nahe der Atomanlagen. Dort fanden die Kreuze ihren Platz und dort hält seitdem die Initiative „Gorlebener Gebet“ jeden Sonntag Andachten. In Lützerath sei „ein winziges Grundstück“ noch im Kirchenbesitz, sagt Negen Jansen. „Das wird der Ort sein, wo wir unser Kreuz hinstellen.“ Es sei ein Zeichen des Widerstandes und noch mehr der christlichen Hoffnung. (epd)