Ein Meisterwerk aus Wasser

Der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. (1638-1715) setzte die Maßstäbe des Absolutismus. Der hessische Landgraf Karl (1654-1730) wollte dem nicht nachstehen und strebte danach, den französischen Herrscher zu übertreffen. So beauftragte er Baumeister Giovanni Francesco Guerniero (1665-1745), den er auf einer Italienreise in den Jahren 1699 und 1700 kennengelernt hatte, mit der aufwändigen Herstellung der kupfernen Herkulesstatue und der barocken Wasserkünste.

Bereits in den 1680er-Jahren spielte der Landgraf mit dem Gedanken, auf dem Karlsberg im nordhessischen Habichtswald eine monumentale Anlage zu errichten, um als absolutistischer Herrscher ein prunkvolles Zeichen seiner Macht zu setzen. Die ursprüngliche Idee sah eine gigantische barocke Überformung des Habichtswaldes vor, die damals vieles in den Schatten gestellt hätte.

Realisiert wurde nur ein Teil von Karls Vision: Wasser, das auf einem Berg entspringt, über eine kunstvolle Kaskadenanlage ins Tal fließt und in einer Fontäne mündet, die höher ist als die von Versailles. Die große Fontäne im Schlossteich, die mit einer Höhe von 50 Metern tatsächlich größer ist als ihr Versailler Pendant, hat der hessische Landgraf allerdings nicht mehr erlebt. Das sei zu seiner Zeit nicht machbar gewesen, sagt Siegfried Hoß, Leiter der Gärten bei Hessen Kassel Heritage.

Zu Karls Lebzeiten endeten die Wasserspiele im Neptunbecken. Erst 1796 wurde die Fontäne in Betrieb genommen, nachdem Landgraf Wilhelm IX. (1743-1821) ab 1788 begonnen hatte, die barocken Wasserkünste Karls um romantische Wasserspiele zu erweitern. Der spätere Kurfürst Wilhelm I. beauftragte den Wasserbauingenieur Karl Steinhöfer (1747-1829) und den Gartenarchitekten Heinrich Christoph Jussow (1754-1825), die die Natur und ihre Urkräfte in den Mittelpunkt stellten. Sie schufen den Steinhöfer-Wasserfall, die Teufelsbrücke, den Höllenteich und das Aquädukt, wo das Wasser über die Penaeuskaskaden 30 Meter in den Schlossteich stürzt.

Es ist überliefert, dass Wilhelm, der zeitlebens den Maßstäben des fürstlichen Absolutismus verhaftet blieb, geladene Gäste mit einer besonderen Inszenierung beeindruckte: Nach einem erlesenen Mahl in einem eigens dafür errichteten Pavillon am Schlossteich begab sich die Gesellschaft auf einen Spaziergang bergauf, um das Wasserspektakel zu bewundern.

Die große Wasserkunst, die unter Karl und Wilhelm entstand, ist eine architektonische und ingenieurtechnische Meisterleistung ihrer Zeit. Sie kommt damals wie heute ohne Pumpen aus und funktioniert allein durch physikalische Gesetze: „Durch das Gefälle im Park und den Druck des Wassers“, erklärt Siegfried Hoß. Alle Stationen der Wasserspiele werden von Hand mit Wasser versorgt. Dazu müssen wie bei ihrer ersten Inszenierung am 3. Juni 1714 Schieber mit Steckschrauben geöffnet und der Verschluss der Fontäne entriegelt werden.

Mehr als 750.000 Liter Wasser fließen während der Wasserspiele. Schmelz- und Regenwasser werden dafür im Hinterland des Herkules gesammelt, wo sich das größte Wasserreservoir für die Wasserspiele befindet: das 40 Millionen Liter fassende Sichelbachreservoir. Von hier aus werden Becken, Brunnen, Fontänen und Zwischenspeicher für die Wasserspiele gespeist.

Seit 2013 gehört der rund 560 Hektar große Bergpark mit seinen Wasserspielen und dem Kasseler Wahrzeichen Herkules zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Anlage gilt als Inbegriff der Landschaftsarchitektur des europäischen Absolutismus. Die Ernennung habe die Besucherzahlen in die Höhe schnellen lassen, sagt Lena Pralle, Pressesprecherin von Hessen Kassel Heritage: „Wir gehen seitdem von doppelt so vielen Gästen während der Saison aus.“

Die historischen Wasserspiele sind vom 1. Mai bis 3. Oktober jeden Mittwoch und Sonntag sowie an hessischen Feiertagen ab 14.30 Uhr zu sehen. Früher wurden die Wasserspiele nicht regelmäßig aufgeführt. Erst Landgraf Friedrich II. (1720-1785) legte vier Tage fest, an denen sie für das gemeine Volk zu sehen waren: Christi Himmelfahrt, Pfingsten und zwei Sonntage während der Herbstmesse.

Heute kommen je nach Wetterlage zu jeder Ausgabe zwischen 2.000 und 3.000 Gäste, an guten Tagen sogar bis zu 6.000 Menschen in den Bergpark. Sie lassen sich auf den Wiesen nieder und bestaunen das Spektakel oder wandern vom Herkules aus die Kaskaden hinab bis zur Großen Fontäne, um dem Lauf des Wassers zu folgen.