Ein Kreuz aus Schrauben für die Corona-Toten

Wie macht man die abstrakte  Zahl von 80.000 Toten erfahrbar? Das haben sich die Pastorinnen Ellen und Stefanie Radtke aus Niedersachsen gefragt – und mit Konfis die „Operation Schraube“ gestartet.

Mit der Teamerin Michelle Praman arbeiten die Pastorinnen Ellen und Stefanie Radtke (v.l.) in der Kirche von Eime an dem Kreuz
Mit der Teamerin Michelle Praman arbeiten die Pastorinnen Ellen und Stefanie Radtke (v.l.) in der Kirche von Eime an dem KreuzClemens Beckmann / epd

Eime. In Eime im Kreis Hildesheim haben 30 Jugendliche unter Anleitung von Pastorin Stefanie Radtke knapp 80.000 Schrauben in ein 2 mal 2 Meter großes Holzquadrat geschraubt. Karfreitag war das Werk fertig, das an die vielen Opfer erinnern soll, die die Corona-Pandemie inzwischen gefordert hat. Doch neben seiner Funktion als Mahnmal hat das Schraubenbrett auch eine soziale Bedeutung und zusätzlich künstlerischen Anspruch.

„Das Schraubenbrett soll die Konfirmanden und die Jugendlichen daran erinnern, warum es ein Kontaktverbot gibt“, erklärt Stefanie Radtke. Zu abstrakt sei die Bedrohung durch die Krankheit in einer Gemeinde, in der es derzeit gar keine Erkrankungen gibt. Trotzdem müssten die Jugendlichen auf Treffen und auf Konfirmandenunterricht live verzichten, die Fahrschule ziehe sich lange hin, Feiern der 18. Geburtstage fielen aus, alles Gesellige sei nicht möglich, Schulunterricht nur teilweise.

Angenehmer Nebeneffekt

Dadurch seien viele junge Menschen frustriert. Zumal sie auf eine Impfung noch lange warten müssten. „Das Projekt erinnert sie daran, warum es eine Kontaktsperre gibt, und macht die Toten über die Schrauben greifbar“, sagt Stefanie Radtke. Und das Projekt hat einen angenehmen Nebeneffekt, die Theologin sieht ihre Konfirmanden dadurch nach langer Zeit mit Online-Unterricht endlich mal wieder live.

Natürlich galten auch hier strenge Hygieneregeln, die Größe des Bretts garantierte den Sicherheitsabstand, gearbeitet wurde mit Masken und nach erfolgtem Schnelltest, der vor jedem Arbeitsgang wiederholt wurde, und das alles in mehreren Schichten und mit begrenzter Teilnehmerzahl. „Für eine Schraube braucht man fünf Sekunden“, rechnet Stefanie Radtke vor, „wir haben eine Woche lang geschraubt und teilweise Nachtschichten dafür eingelegt.“ Ein Handwerker aus dem Ort habe sie unterstützt und ihnen fünf Akku-Schrauber zur Verfügung gestellt, damit die Arbeit etwas schneller von der Hand geht. „Allerdings mussten die Schrauber regelmäßig desinfiziert werden.“ Karfreitag wurde das Brett aufgestellt, zu dem zusätzlich ein Impuls mit theologischer Botschaft auf dem Youtube-Kanal von Anders Amen hochgeladen wurde.

Pastorin Radtke freut sich, dass die Jugendlichen über die handwerkliche Arbeit auch viel zum Thema Karfreitag und Ostern gelernt haben. So sind die Schrauben in der Mitte des Bretts tiefer eingedreht, sodass sich das Bild eines Kreuzes ergibt. „Beispielsweise kam als Anregung aus der Gruppe, dass man die Schrauben schwarz malen und dann zu Ostern bunt einfärben könnte. Das zeigt mir, dass die Jugendlichen sich mit der Osterbotschaft auseinandergesetzt haben.“ Auch seien die Akteure bei der Arbeit miteinander ins Gespräch gekommen. So habe das Projekt theologische und soziale Effekte und zusätzlich dazu geführt, den Jugendlichen die Verhaltensregeln verständlich zu machen. „Das Schraubenbrett macht alle Aspekte bildlich.“

Kleine Mahnmale zum Verkauf

Was mit dem fertigen Werk geschieht, ist noch offen. „Vielleicht findet das Brett einen Platz in der Gemeinde oder sogar im Landtag“, sagt Pastorin Radtke, die einen Beitrag zu der „Operation Schraube“ auf der Plattform „Anders Amen“ veröffentlicht hat, die sie seit einem Jahr gemeinsam mit ihrer Frau Ellen betreibt. Doch auch ein Verkauf sei vorstellbar.

Bereits im Jahr 2020 hat die Pastorin mit rund 1000 kleinen Holzkreuzen an die Corona-Toten erinnert – nun seien es dieses Jahr schon 76.000 Opfer. 4000 Schrauben seien übrig geblieben, sagt Stefanie Radtke. „Daraus haben wir mit Holzklötzen kleine Einzelmahnmale gebaut, die Privatpersonen gegen eine Spende bekommen können.“ Vielleicht hätten einige Menschen das Bedürfnis, mit den kleinformatigen individuellen Mahnmalen an Personen zu erinnern, mit denen sie etwas verbinde und die sie durch die Krankheit verloren hätten.