Ein Kochbuch mit Rezepten aus der verlorenen Heimat

Vom Lamm-Schmortopf bis zum Bigos – für ein besonderes Kochbuch haben Flüchtlinge ihr Lieblingsrezept verraten. Manche sind gerade nach Deutschland gekommen, andere flohen schon im Zweiten Weltkrieg. Von Anne-Dorle Hoffgaard

Auch ein Rezept für Bigos, einen polnischen Krauteintopf, steht im Buch
Auch ein Rezept für Bigos, einen polnischen Krauteintopf, steht im BuchTimolina / Fotolia

Retschow. Der Dorfkirchenverein Retschow hat ein Flüchtlings-Kochbuch mit Rezepten "aus der verlorenen Heimat" herausgebracht. Der Erlös ist für die Sanierung der mittelalterlichen Dorfkirche bestimmt.
Die Rezepte stammen aus Ostpreußen und Schlesien, aus Afghanistan und dem Irak. Der Dorfkirchenverein Retschow bei Bad Doberan (Landkreis Rostock) hat in dieser Woche sein neues "Flüchtlings-Kochbuch" herausgegeben. 58 handgeschriebene Rezepte enthält das Spiral-Buch im DIN-A5-Format. Sie wurden aufgeschrieben von Flüchtlingen, Vertriebenen und Zwangsumgesiedelten aus der Zeit um 1945 bis 2015. Auch Kinder und Enkel haben sich beteiligt. Fünf Euro Spende kostet das Kochbuch. Der Erlös kommt der mittelalterlichen Dorfkirche in Retschow zugute.

Die ersten Kunden warteten auf das Buch

Von Hikmat Al-Sabty, der aus dem Irak stammt und für die Linke im Schweriner Landtag sitzt, stammt ein arabisches Rezept für Lamm-Schmortopf. Von Mohamed aus Afghanistan findet sich im Kochbuch nicht nur ein Rezept aus der alten Heimat, sondern auch eine kurze Beschreibung seines Fluchtweges nach Berlin. Der Intendant des Rostocker Volkstheaters, Sewan Latchinian, steuerte ein Rezept für "Armenisches Linsenlamm" bei. Die meisten Kochanleitungen stammen von Menschen, die Ende des Zweiten Weltkrieges nach Mecklenburg kamen.
Anfang der Woche konnte der Förderverein die ersten 500 von 2.000 Exemplaren aus der Druckerei abholen. 60 vorbestellte Bücher sind bereits auf dem Weg nach Hamburg, Bremen, Hannover und Dresden. Die meisten Kochbücher werden an 20 Anlaufstellen in der Region Rostock verteilt. "Viele haben schon darauf gewartet, dass das Kochbuch endlich erscheint", sagt Christine Breitbach, Pastorin im Ruhestand und Vorsitzende des Dorfkirchenvereins Retschow.
Mit dem Kochbuch will der Förderverein auch daran erinnern, dass es seit jeher Flüchtlinge, Vertriebene und Umgesiedelte gab, die ihre Heimat aus Angst um ihr Leben verlassen mussten. Zugleich sollen "kostbare Rezepte" davor bewahrt werden, für immer verloren zu gehen.

Rezepte mit alten Zutaten

Bestechend sei, dass in vielen Rezepten Reste wie altes Brot oder Milch verwertet werden können, sagt Christine Breitbach. "Ich hab sie selber noch gar nicht getestet." Gerichte mit Sauerkraut isst sie besonders gern. Schließlich sei ihr Vater im Januar 1945 als Flüchtling aus Ostpreußen gekommen und habe "viel mit Sauerkraut hantiert". Sie selbst habe in diesem Jahr "fantastisches Sauerkraut" aus 23 Kilogramm selbst angebautem Weißkohl gemacht.
Jährlich 10.000 Euro will der Förderverein aufbringen, damit die Kirchengemeinde ihren Eigenanteil für die Bauarbeiten an der Dorfkirche leisten kann. Seit 2009 wurden bereits knapp 450.000 Euro in die Sanierung der Außenmauern investiert. Im nächsten Jahr soll für etwa 130.000 Euro das Dach saniert werden. Mit seinem "Kirchen-Back-Buch" von 2012 war der Verein bereits erfolgreich. Dieses Buch ist in dritter Auflage erschienen und wurde schon über 5.000 Mal verkauft.

Angefragt: Helene Fischer und Peter Maffay

Doch Christine Breitbach hat mit ihrem neuen Kochbuch noch Großes vor: Rocksänger Peter Maffay, Pop-Sängerin Helene Fischer und Schauspielerin Hanna Schygulla bekommen Anfang 2016 ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk aus Retschow. Die Vereinsvorsitzende will den Promis das Flüchtlings-Kochbuch zusenden und sie bitten, ein Kochrezept für den guten Zweck beizusteuern. Immerhin sind alle drei auch Flüchtlinge: Peter Maffay wanderte 1963 aus Rumänien ein, Helene Fischer 1988 aus Sibirien und Hanna Schygulla kam 1945 aus Schlesien nach Deutschland. (epd)