Ein Jahr an der Grenze

Der deutsch-tschechische Zukunftsfonds baut Brücken zwischen den Nachbarländern, mit Jugendaustausch, Theaterfestivals, Forschungsvorhaben. Rund 12.000 Projekte waren es seit 1998.

Diese Jugendlichen haben im vergangenen Jahr bei dem Projekt mitgemacht
Diese Jugendlichen haben im vergangenen Jahr bei dem Projekt mitgemachtepd-bild / Petr Miksicek

Am Anfang muss es so etwas wie jugendliche Neugier gewesen sein, die Iva Ellrodt von Westböhmen aus über die deutsche Grenze nach Bayern lockte: „Mir ist aufgefallen“, erinnert sich die heute 26-Jährige, „dass es auf der deutschen Seite auch Leute wie mich gibt: junge Leute mit Tatendrang“. Sie zusammenzubringen und dafür zu sorgen, dass die Grenze zwischen Tschechien und Deutschland aus dem Alltagsleben in der Region verschwindet – das hat sie sich seither zur Aufgabe gemacht.

Als „Macher und Enthusiasten“ bezeichnet der deutsch-tschechische Zukunftsfonds Iva Ellrodt und die anderen Deutschen und Tschechen, die er für das Programm „Ein Jahr an der Grenze“ ausgesucht hat: Acht Männer und Frauen aus beiden Ländern sind es, die entlang der Grenze wohnen. Das Programm läuft 2022 und 2023 und soll die Nachbarschaft stärken. Aufgelegt wurde es anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997 und des 25. Geburtstags des Zukunftsfonds Ende 2022.

Manche leben in einer binationalen Familie

Bei „Ein Jahr an der Grenze“ hat jeder und jede einen anderen Bezug zum Nachbarland: Manche leben in einer binationalen Familie, andere kennen es durch einen Studienaufenthalt oder einfach durch Freunde. „Meine Aufgabe ist es, diejenigen zu erreichen, die noch keinen Kontakt nach Tschechien haben“, sagt zum Beispiel Iva Ellrodt, die ihre eigene Geschichte auf einem Blog und in einem Video erzählt: Die junge Mutter will einen deutsch-tschechischen Familienstammtisch einrichten. Andere ihrer Kollegen und Kolleginnen arbeiten daran, Fußballvereine oder freiwillige Feuerwehren grenzüberschreitend miteinander zu verknüpfen.

Als der deutsch-tschechische Zukunftsfonds vor rund 25 Jahren gegründet wurde, lag ein so enger Kontakt zwischen beiden Ländern in weiter Ferne. Grundlage war die 1997 unterzeichnete Deutsch-Tschechische Erklärung, die wenige Jahre nach dem Ende des Kommunismus die angespannten Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien neu ordnen sollte.

Blick nach vorn

Tenor der Erklärung: Die beiden Nachbarländer wollen nicht mehr nur die Vergangenheit in den Vordergrund stellen, die Gräueltaten der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs und die anschließende Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen. Mehrere Jahre lang feilten Diplomaten und Völkerrechtler an der Deklaration. Und im Absatz 7 vereinbarten sie die Gründung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, finanziert mit Geldern aus beiden Ländern.

Tomas Kafka erinnert sich noch gut an diese Vereinbarung. Damals war der junge Diplomat, der heute tschechischer Botschafter in Berlin ist, an den Gesprächen beteiligt. „Der Zukunftsfonds war nur vage angedacht als ein Spielraum für die politische Fantasie, der nicht näher bestimmt war“, sagt er heute im Rückblick. Er selbst wurde Gründungsgeschäftsführer des neu entstehenden Fonds, zusammen mit einem deutschen Kollegen – dass die Leitung aus einem binationalen Tandem besteht, gehört bis heute zu den Prinzipien.

Kafka war dabei, als sich der Zukunftsfonds eine Art doppelte Agenda gab: Zum einen sollten mit dem Fonds die noch lebenden tschechischen NS-Opfer entschädigt werden. Zum anderen aber sollte der Blick auch nach vorn gerichtet werden – auf das Zusammenleben der Nachbarn. „Es ging darum, nicht bloß einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen oder einen Punkt zu setzen. Wir waren davon überzeugt, dass wir einen Doppelpunkt brauchen“, formuliert es Kafka. Ein Doppelpunkt, hinter dem mit frischem Schwung ein neues Kapitel beginnen sollte.

Umweltschutz wird Jahresthema

Und so fördert der Zukunftsfonds seit 25 Jahren sehr unterschiedliche Projekte – Jugendaustausch, Musikbegegnungen, Buchübersetzungen, Theaterfestivals, Denkmalrenovierungen, Forschungsvorhaben. Seit 1998 hat er rund 70 Millionen Euro für mehr als 12.000 Vorhaben bewilligt. Die derzeitigen Geschäftsführer des Zukunftsfonds, Tomas Jelinek und Petra Ernstberger, stellen jedes Jahr unter ein konkretes Motto und richten das Förderprogramm darauf aus. Der Umweltschutz zum Beispiel war ein solches Jahresthema, die Energiepolitik oder auch der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit.

„Es kommt auf die Leute an, nicht auf die Themen“, bringt es Tomas Kafka auf den Punkt: „Jedes Thema ist möglich, ganz kunterbunt, aber die Menschen müssen gerne etwas miteinander unternehmen und sollen entdecken, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen beiden Seiten Spaß machen.“ Dieses Jahr kommen entlang der Grenze dann vielleicht ein Familienstammtisch und gemeinsame Fußballturniere hinzu.