Ein historischer Schatz

Wie stand es nach dem Krieg um die christlichen Gemeinden in Mecklenburg? Jetzt sollen Aufzeichnungen der Pastoren veröffentlicht werden – weil sich eine Rentnerin engagiert.

Margrit Käthow zeigt die Pastorenberichte
Margrit Käthow zeigt die PastorenberichteGerald Gräfe

Schwerin/Malchin. „Nie war wieder jemand so nah dran an der Zeit“, meint Margrit Käthow. Dabei verweist sie auf die mehr als 100 dicken Ordner, die sie in gut zehn Jahren Arbeit prall gefüllt hat. In ihnen sind Abschriften und die Kopien von Quellen zum Kriegsende in den mecklenburgischen Gemeinden enthalten. Darunter sind die von den Pastoren oder ihren Vertretern im Sommer und Herbst 1945 verfassten Lageberichte abgeheftet. Die mecklenburgischen Pastorenberichte zur Lage sind eine einzigartige serielle Überlieferung zum Kriegsende in einer evangelischen Landeskirche.

Die Schreiber notierten in ihnen, wie es nach Kriegsende in der nunmehr sowjetischen Besatzungszone um die christlichen Gemeinden und deren Amtsinhaber, um das Eigentum der Kirche und deren Gebäude, allgemein um die Ortschaften steht. Der Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs hatte die Pastoren mit einem Rundschreiben vom 13. Juli 1945 aufgefordert, die Lage zu schildern und die Berichte nach Schwerin zu schicken. „Der Oberkirchenrat wollte angesichts der damaligen Unsicherheiten wissen, wie sieht es im Land aus“, betont Margrit Käthow.

Papier war Mangelware

Aus den zwölf Kirchenkreisen Güstrow, Hagenow, Ludwigslust, Malchin, Parchim, Rostock-Land, Rostock-Stadt, Schönberg-Ratzeburg, Schwerin, Stargard, Waren und Wismar kamen die Berichte. Nicht immer wurde der vorgegebene Fragenkatalog beachtet – allein schon weil mancherorts Schreibmaschinen und Papier fehlten.

Nicht immer antworteten die Pastoren. Viele waren nicht vor Ort, in Gefangenschaft, gefallen oder geflohen. So übernahmen es Flüchtlingspastoren aus den deutschen Ostgebieten, die Pfarrfrauen oder die Küster, die Situation in den Gemeinden zu schildern. Die Berichte wurden im Oberkirchenrat von Schwerin in den Gemeindeakten abgelegt. Heute sind sie im Landeskirchlichen Archiv Schwerin der Öffentlichkeit zugänglich. Gleichwohl hat dieser außergewöhnliche Quellenschatz in der Forschung bisher wenig Beachtung gefunden.

Sisyphos-Arbeit

Das soll sich ändern, so Margit Käthow. Die 78-jährige ehemalige Arzthelferin hat in müh­samer Kleinarbeit die Gemeinde­akten im Landeskirchlichen Archiv Schwerin durchgesehen und den Inhalt wortgetreu und – ohne in Diktion und Schreibweise etwas zu verändern – auf elektronische Medien übertragen. Eine echte Sisyphos-Arbeit!

Allein der Kirchenkreis Malchin umfasste damals 55 Kirchgemeinden mit durch Flucht und Vertreibung immens angestiegenen Seelenzahlen. So zählte die Stadt Malchin 7600 und Teterow 12 950 Seelen. Und auch auf dem Land waren die Zahlen rasant gestiegen, so in Altkalen und Levin mit 2400 beziehungsweise 2100 Seelen.

Was treibt die Seniorin an? „So etwas passiert zufällig“, sagt sie und lacht. Eigentlich war sie nur auf den Spuren ihrer Großeltern unterwegs. Ihre Ahnen – die Familie Seip – besaß mehr als 100 Jahre lang das Gut von Wrechen in der Feldberger Seenlandschaft. Sie erforsche die Familien-, Guts- und Ortsgeschichte und stieß dabei zufällig auf den Pastoren­bericht in den Akten des Oberkirchenrats über die Gemeinde Göhren im Kirchenkreis Stargard.

Neugier geweckt

„Ich erfuhr, dass es viele Berichte dieser Art gibt. Meine Neugierde war geweckt“, blickt die Laienforscherin zurück. Ergo suchte sie nach weiteren Berichten: „Und wenn man einmal damit angefangen hat, fällt es schwer zu sagen, bis zu diesem Kirchenkreis und nicht weiter gehe ich. Ich hatte von dieser Nachkriegsgeschichte bis dahin gar keine Ahnung.“ Deshalb musste sie selbst viel nachlesen, um die Berichte in ihre Zeit und ihren Raum einordnen zu können.

Unbewusst hatte sie mit ihrer Idee ein altes Vorhaben von Erhard Piersig, dem vormaligen Leiter des Mecklenburger Landeskirchlichen Archivs, aufgegriffen. Rasch fand sie in ihm und dessen Nachfolger Johann Peter Wurm Mitstreiter: „So entstand die Idee, alle Predigerberichte aufzunehmen und in Form einer wissenschaftlichen Edition zu veröffentlichen.“

„Geplant ist eine Veröffentlichung in diesem Jahr oder Anfang des nächsten Jahres. Zur Zeit befinden wir uns in der Korrekturphase“, berichtet Margrit Käthow. Band 1 soll die Kirchenkreise im Osten Mecklenburgs umfassen. Archivleiter Johann­ Peter Wurm freut sich über die Aufnahme des Bandes als Band 14 in die Quellenreihe der Historischen Kommission für Mecklenburg. Die Drucklegung wird zudem von der Arbeitsgemeinschaft für Mecklenburgische Kirchengeschichte unterstützt.