Es war die größte Kirchenversammlung des 20. Jahrhunderts – und ein Versöhnungsversuch der katholischen Kirche mit der Welt von heute. Viele Weichen wurden neu gestellt; manches verblieb allerdings im Vagen.
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hat der Kirche eine neue Kommunikationsbasis mit der säkularen Welt verschafft. Aber zuvor wurde erst mal intensiv nach innen kommuniziert. Zum 60. Jahrestag des Konzilsendes buchstabiert die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) Zentrales und Randständiges der großen Bischofsversammlung durch:
Aktenfressen: Schon sehr früh entschieden sich die Konzilsväter, nicht die Vorlagen der römischen Kurie abzunicken, sondern selbst das Heft des Handelns zu übernehmen. Als Konsequenz hatten sie für die vier Sitzungsperioden schier unendlichen Lesestoff.
Bar: In den Seitenschiffen des Petersdoms waren zwei Bars für die Konzilsväter aufgebaut. Sie dienten als Informationsbörse, aber auch als Oase für erhitzte Gemüter. Mancher theologische Streit wurde hier abgekühlt (s. auch Ottaviani).
Congar: Der französische Jesuit, Querdenker und Konzilsberater Yves Congar tat sich schwer mit vielen vatikanischen Vorgängen rund ums Konzil. Nicht zuletzt stieß er sich an der Äußerlichkeit und feudalistischen Rückwärtsgewandtheit der Eröffnungsliturgie.
Dogmen: hat das Konzil nicht hervorgebracht. Johannes XXIII. ging es um eine “Verheutigung” (Aggiornamento) der kirchlichen Lehre und einen kommunikativen Sprung nach vorn im Verhältnis zur Welt. Für bereits Gesagtes brauche es kein Konzil, meinte er.
Exkommunikation: Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras, hoben in der letzten Arbeitssitzung des Konzils die seit 1054 bestehende gegenseitige Exkommunikation auf. Der spätere Papst Benedikt XVI. erlebte damals als junger Konzilstheologe, dass hier “der Atem der Geschichte wie kaum je zuvor zu spüren war”.
Fernsehen: Erstmals gab es TV-Bilder von einer großen Kirchenversammlung, und erstmals sahen Katholiken im Westen “exotische” Bischöfe anderer Kontinente. Der Teilnehmer Joseph Ratzinger unterschied später, als Papst Benedikt XVI., zwischen dem “wahren Konzil” und einem “Konzil der Medien”.
Gäste/Beobachter: Völlig neu im Vergleich zu früheren Konzilien war die Möglichkeit, Beobachter aus anderen christlichen Konfessionen und Gemeinschaften einzuladen. Nichtkatholiken konnten an den Generalversammlungen teilnehmen, nicht aber das Wort ergreifen oder abstimmen. Viele Kirchen zeigten starkes Interesse an der Erneuerung in der katholischen Kirche.
Hüte: Die Bilder von den großen Zeremonien des Konzils zeigen einen endlosen Strom von “Tütenköpfen”: Tausende Bischöfe mit ihren Mitren; dazu die exotischen Kopfbedeckungen der Vertreter der katholischen Ostkirchen und der Gäste (s. dort) anderer Konfessionen. Eine solche liturgische Pracht und christliche Vielfalt hatte keine andere Kirchenversammlung zuvor hervorgebracht – und weltweit in Bild und Ton verbreitet.
“Inter mirifica”: Das Konzilsdokument von 1963 ermuntert Katholiken, sich Medienkompetenz anzueignen, sie weiterzugeben und so christlichen Positionen auch über die Medien gesellschaftlich Gehör zu verschaffen.
Johannes XXIII.: Der Papst wusste, was er tat, als er 1959 kurz nach seiner Wahl ein Konzil für die Gesamtkirche ankündigte. Und er ahnte wohl schon bei der Eröffnung, dass er selbst es nicht mehr würde zu Ende bringen können.
Konzilsväter: Rund 2.500 Bischöfe und Ordensobere machten das Konzil zur größten Kirchenversammlung des 20. Jahrhunderts. Von ihnen leben heute nur noch vier: José de Jesús Sahagún de la Parra (103) aus Mexiko, Daniel Omer Verstraete (101) aus Klerksdorp/Südafrika, Victorinus Youn Kong-hi (101) aus Korea und Kardinal Francis Arinze aus Nigeria (93).
Latein: war noch Verkehrssprache beim Konzil. Da konnte der Kölner Kardinal Josef Frings, ein glänzender Latinist, mit einer seiner Paradedisziplinen aus der Schulzeit auftrumpfen und scheinbar mühelos auf Lateinisch parlieren. Nicht ohne Stolz vermerkte er, als er ins Konzilspräsidium berufen wurde: “In Rom hat man auch gemerkt, dass ich was vom A.c.I. verstehe.”
Maulwurf: Der US-Redemptoristenpater Francis Xavier Murphy (1915-2002) ärgerte – und faszinierte – viele Teilnehmer, indem er unter dem Pseudonym “Xavier Rynne” Interna aus der Konzilsaula in der “New York Times” publizierte.
Nostra aetate: Christen, Juden und Muslime wurden in dieser Konzilserklärung ermuntert, gegenseitige Missverständnisse im Dialog auszuräumen. Die römische Kirche räumte ihr belastetes Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen auf und traf eine klare Absage an den traditionellen Antijudaismus.
Ottaviani und Frings: Im November 1963 griff Kardinal Frings in furioser lateinischer Rede das Heilige Offizium an, wie die vatikanische Glaubensbehörde damals noch hieß. Dessen Leiter Alfredo Ottaviani kochte: “Altissime”, mit lautester Stimme, müsse er gegen Schmähungen seiner Behörde protestieren. Der Wortwechsel machte Furore. Frings selbst spielte das Ereignis später herunter: Ottaviani sei an der Bar (s. dort) zu ihm gekommen und habe auf Französisch zu ihm gesagt: “Nous sommes frères!” (wir sind Brüder); im Grunde wollten doch beide dasselbe.
Paul VI.: Der Mailänder Kardinal und langjährige Vatikanmitarbeiter Giovanni Battista Montini galt als Kronprinz des “Konzilspapstes” Johannes XXIII. Und er wurde tatsächlich gewählt und brachte die Versammlung mit hohem Einsatz zum Ende.
Quellen: Ist die Gegenwart von der Vergangenheit her zu verstehen – oder nicht im Gegenteil die Vergangenheit von der Gegenwart her? Die Konstitution “Dei Verbum” zu den Quellen der Offenbarung suchte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bibel, kirchlicher Tradition und Lehramt – und grub dem Traditionalismus das Wasser ab.
Religionsfreiheit: Das Dokument “Dignitatis humanae” verwies auf die unverbrüchliche Menschenwürde jedes Einzelnen und sprach allen Menschen das bürgerliche Recht zu, ihre Religion frei nach dem eigenen Gewissen zu wählen.
Sprachgruppen: Natürlich wurden beim Konzil auch Lobbyarbeit und Politik gemacht. Ein wichtiges Vehikel dafür waren abendliche Diskussionszirkel, die verschiedene Sprachgruppen in Rom unterhielten und mögliche Verbündete einluden.
Tiara und Tragesessel: Setzte Johannes XXIII. die symbolträchtigen Symbole des Papsttums noch ein letztes Mal ein, so räumte sein Nachfolger Paul VI. mit Prunk, Kleiderordnungen und Statussymbolen auf. Sehr zum Leidwesen der “T” wie Traditionalisten.
Unfehlbarkeit und Primat des Papstes: Den beiden Beschlüssen des Ersten Vatikanums (1869/70) zur Stärkung des Papstamtes setzte das Konzil das Lehramt und Kollegium der Bischöfe, das “allgemeine Priestertum” aller Gläubigen und die Unbeirrbarkeit der Gesamtkirche als Volk Gottes entgegen.
Volkssprache: Eine der wichtigsten Neuerungen im Zuge des Konzils war die Durchsetzung der jeweiligen Volkssprache im Gottesdienst. Das Lateinische (s. dort) in der Liturgie wurde zurückgedrängt – und ist seither auch als gesprochene Sprache quasi ausgestorben.
Wojtyla: Einer der jüngsten Konzilsväter war der damals neue Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla. Er brachte sich stark in die Diskussionen um Religionsfreiheit ein (s. dort) – und sollte ab 1978 als Papst Johannes Paul II. Geschichte schreiben.
X-Chromosom: Frauen waren beim Konzil glasklar in der Minderheit. Doch es gab zum Beispiel eine theologische Eingabe bei der Deutschen Bischofskonferenz für eine volle Gleichberechtigung von Frauen bei Diakonat und Priesteramt. Die Hoffnung engagierter Frauen auf eine kirchliche Aufwertung erfüllte sich allerdings nicht.
Y-Chromosom: Das Konzil war eine Männerveranstaltung. Ab der dritten Sitzungsperiode wurden zwar Frauen zugelassen; allerdings nur als Zuhörerinnen ohne Stimmrecht. Die Konzilstexte selbst kamen in der Frauenfrage über programmatische Erklärungen nicht hinaus.
Zeremonien: Eröffnungs- und Schlussfeier des Konzils waren optisch beeindruckende Schauspiele. Auf den nüchternen Kölner Kardinal Frings machten sie einen “sehr theatralischen” Eindruck; jedenfalls, meinte er, sei “das Ganze südlich empfunden”. Und auch sein junger theologischer Berater Joseph Ratzinger fand die Großkundgebung “ein wenig überladen und äußerlich”.