Druck auf Kirchenasyl in Bayern wächst

Eine syrische Frauenrechtlerin sollte in der vergangenen Woche nach Frankreich abgeschoben werden – ohne ihre Kinder. Diese leben wie die Frau selbst im niederbayerischen Kelheim. Auf die Schnelle suchte der Kirchenasylverein matteo einen Asylplatz für die Familie und wurde bei einer Kirchengemeinde in der Region fündig. Die Abschiebung der Frau konnte in letzter Minute verhindert werden.

Fälle wie diese, die sich als unmenschliche Härte erweisen, nehmen bayernweit zu, stellt David Geitner, der Kirchenasylberater der bayerischen evangelischen Landeskirche, fest: „Der Bedarf an Kirchenasyl wird höher.“ Die vermehrten Anfragen führt er auf eine „rigidere Abschiebepraxis“ des Bundesinnenministeriums, beziehungsweise der bayerischen Behörden zurück.

Eine Verschärfung der Abschiebepraxis beobachte er vor allem bei Abschiebungen in Drittländer nach dem sogenannten Dublin-Abkommen. Nach den Verteilregeln der EU muss ein Flüchtling in dem Land seinen Asylprozess durchlaufen, in dem er zuerst europäischen Boden betritt. Wer weiterreist, wird zurückgeschickt. Syrer und Afghanen mit eigentlich hohen Asyl-Anerkennungsquoten in Deutschland werden so in Länder wie Bulgarien, Litauen und Rumänien abgeschoben. Von dort erreichten die Helfervereine Berichte über erschreckende Zustände in den Unterkünften, in denen die Geflüchteten festgehalten werden.

Erst Anfang April wurde ein junger syrischer Kriegsflüchtling in der Oberpfalz ins Kirchenasyl aufgenommen, um ihn vor der Abschiebung nach Bulgarien zu bewahren, wo er bereits brutale Polizeigewalt und Körperverletzung erlebt hatte. Helfervereine und Kirchenasylbeauftragte sprechen von „unerträglichen Menschenrechtsverletzungen“ und fordern explizit einen Stopp der Abschiebungen nach Bulgarien, Litauen und Rumänien. Für LGBTQ-Menschen könne auch eine Abschiebung nach Polen riskant sein.

Unterdessen versuchen Kirchengemeinden vermehrt, Geflüchtete im Kirchenasyl aufzunehmen – je häufiger die Anfragen und je höher der Druck ausfällt, schildert Geitner weiter: „Dabei geraten sie selbst an ihre Kapazitätsgrenzen.“ 165 abgeschlossene Fälle von Kirchenasyl gewährte die bayerische evangelische Landeskirche laut eigenen Angaben im Jahr 2023. Im Schnitt seien es 35 Kirchenasyle gewesen, die in Kirchengemeinden zeitgleich untergebracht waren. Etwa 40 Gemeinden seien derzeit aktiv im Kirchenasyl, wenn es darum geht, Menschen aufzunehmen. Die Kirchen gewähren dabei Schutz, bis die Frist für eine Rückführung ihrer Schützlinge abläuft. „Faktisch können wir nicht mehr vermitteln, weil die Gemeinden ausgelastet sind“, sagt er.

Die momentane Abschiebepraxis macht selbst vor prominenten Fällen wie dem der syrischen Frauenrechtlerin nicht halt. Die Frau hatte in Idlib ein Frauenzentrum aufgebaut für geschiedene und von ihren Männern misshandelte Frauen mit Angeboten für psychische Betreuung, Ausbildung und Alphabetisierung. Die Terrorgruppe „IS“ hatte nach der Machtübernahme alles zerstört, das Zentrum niedergebrannt, sie gefoltert und ihren ältesten Sohn ermordet, berichtet Stepahn Reichel, der Vorsitzende des Kirchenasylverein matteo. Die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton soll der Frauenrechtlerin für ihre Verdienste einen Preis verliehen haben. „Doch sie konnte ihn nicht entgegennehmen, weil die Zentrale Ausländerbehörde in Deggendorf ihr die Reise nach New York nicht erlaubte“, sagt Reichel.

Unterm Strich beobachte er einen Anstieg bei der Bereitschaft, Menschen im Kirchenasyl aufzunehmen. „Wir merken überall, dass die Leute aufwachen, weil es so nicht weitergeht“, sagt er. Mit den bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ist für ihn ein „Stimmungsumschwung in der Bevölkerung“ gekommen. (00/1255/19.04.2024)