Doku beleuchtet Geschichte und Herausforderungen der Nato

Zu dessen 75-jährigem Bestehen befasst sich eine Arte-Dokumentation ausführlich mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft des nationalen Verteidigungs-Bündnisses. Sie bietet seltene Einblicke.

Der Begriff Nato ist in aller Munde. Bei der konkreten Bedeutung der vier Großbuchstaben wird’s oft schon schwierig: Sie stehen für „North Atlantic Treaty Organization“ (Nordatlantische Vertragsorganisation). Hochkompliziert ist die Definition der Aufgaben dieser Verteidigungs-Allianz von europäischen und nordamerikanischen Ländern, dem Deutschland 1955 beigetreten ist. Zum 75. Jahrestag der Nato-Gründung am 4. April 1949 befasst sich die Dokumentation „Nato – Alte Freunde, neue Fronten“ von Arte, BR und MDR. 90 ausführliche Minuten widmen sich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und gewähren dabei seltene Einblicke.

Damals waren für zwölf Gründerstaaten die traumatischen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg vordergründig. Heute prägt die Nato die Sicherheitspolitik Europas und der Welt seit 75 Jahren.

Regisseur David Holland hat die Doku in zwei Handlungsstränge konzipiert: Die Geschichte der Nato wird strikt chronologisch erzählt, dann werden die Herausforderungen der Nato heute aufgezeigt. Im Laufe der Zeit treten 20 Länder bei – auch ehemalige sogenannte Ostblockstaaten – und machen die Nato zum größten Verteidigungsbündnis der Welt, auf deren Schutz eine Milliarde Menschen vertrauen. Zu Recht?

Intensiv befassen sich Autor Jan N. Lorenzen und David Holland filmisch mit dem Artikel 5 des 14 Artikel umfassenden Nordatlantikvertrags, der den sogenannten Bündnisfall regelt. Er bezeichnet eine Lage, in der ein Bündnispartner durch Kriegseintritt der anderen geschützt werden muss. Im Film wird deutlich, dass die dafür erforderliche Einstimmigkeit unter den Mitgliedsländern alles andere als sicher ist. Obwohl die Ukraine nicht zur Nato gehört, stellt sich seit Russlands Angriffskrieg und der damit verbundenen „Zeitenwende“ die Frage, wie stark das westliche Militärbündnis ist.

Auf einer Reise durchs Bündnisgebiet werden „neue Fronten“ wie Terrorismus und Auslandeinsätze gezeigt. Einen seltenen Einblick gewährt die Doku auch durch einen Besuch im estländischen Tallinn, dem Standort des Cyber-Defence-Zentrums der Nato um Hacker-Angriffe zu verhindern.

Nicht nur im Nato-Hauptquartier in Brüssel, wo alle politischen Entscheidungen getroffen werden, trifft der Film auf „alte Freunde“ und lässt wichtige Zeitzeugen wie Donald Trumps ehemaligen Sicherheitsberater John Bolton und den deutschen Top-Diplomaten Wolfgang Ischinger zu Wort kommen.

Interviews durften oft nur in einem neutralen Raum gedreht werden, es sollte nicht aus dem Fenster gefilmt werden, teilweise musste das Nato-eigene Film-Equipment benutzt werden. Trotzdem sieht der studierte Journalist David Holland aus Leipzig seine erste Regiearbeit für eine 90-Minuten-Doku positiv: „Ich hatte das Gefühl, dass die Nato-Verantwortlichen deutlich mehr als in den vergangenen Jahrzehnten die Bevölkerung darüber aufklären möchten, was sie machen und sich so vielleicht mehr Legitimation erhoffen. Hier wurde versucht, uns vieles möglich zu machen.“

Am Ende zieht diese umfassende Dokumentation ein zeitloses Fazit. 75 Jahre nach Gründung steht die Nato heute vor derselben Aufgabe wie ganz am Anfang: Kriege verhindern. Für David Holland ist bewaffneter Konflikt das Sinnloseste, was Menschen einander antun können; er verabscheut Gewalt nach eigenen Worten zutiefst. Gleichzeitig habe ihn als Regisseur diese Arbeit zum Nachdenken gebracht: Wie umgehen mit Menschen und Mächten, die diese Werte nicht teilen, die einen Angriffskrieg auf einen souveränen Staat als legitim ansehen?

Holland betont: „Ich möchte mit dem Film bestenfalls eine Diskussion darüber anregen, wie wir als Gesellschaft darauf reagieren. Denn nur wenn man über alle Möglichkeiten ausführlich spricht, kann man eine fundierte Entscheidung treffen.“ – Der Film ist auch als um die Hälfte kürzere „ARD Story“-Version und mit leicht anderem Schwerpunkt „Nato – wer wird Europa schützen?“ am 3. April um 22.50 Uhr im Ersten zu sehen.