Die Turmführergilde von Lüneburg

Kirchtürme sind die Leidenschaft von Dorit Baumeister. Deshalb ist die Lüneburgerin Mitglied der Turmführergilde und führt mit anderen Ehrenamtlichen den ganzen Sommer über durch zwei bedeutende Kirchtürme ihrer Heimatstadt.

Dorit Baumeister will am liebsten hoch hinaus, wie hier bei einer ihrer Führungen in Lüneburg.
Dorit Baumeister will am liebsten hoch hinaus, wie hier bei einer ihrer Führungen in Lüneburg.Carolin George

Am liebsten betrachtet sie die Welt von oben: Wenn Dorit Baumeister eine fremde Stadt besucht, führt ihr erster Weg stets zu den Kirchtürmen. „Das geht gar nicht anders“, sagt sie lachend. In ihrer Heimatstadt Lüneburg hat sie sich deshalb ein Ehrenamt gesucht, das wie für sie gemacht ist: Als Mitglied der Turmführergilde führt sie regelmäßig Gruppen auf die Türme der beiden Kirchen St. Johannis und St. Nicolai.

Heute ist Dorit Baumeister in St. Johannis unterwegs, der ältesten Kirche der Salzstadt. Schon der Treffpunkt für die Führung, die Turmhalle, bietet reichlich Stoff für Geschichten – und die erzählt die 51-Jährige mit Begeisterung.

Die Bürgerkirche von Lüneburg

„Die Turmhalle ist zehn mal zehn Meter groß“, erklärt sie und hält kurz inne. „Das ist ziemlich groß für eine Kirche. Wissen Sie, warum das so ist?“ Die Teilnehmenden der Führung bleiben ratlos, die Antwort ist nicht zu erahnen. Also klärt Dorit Baumeister auf: Nachdem die Kirche ab 1289 gebaut wurde, war sie lange eines der wenigen gemauerten Gebäude in Lüneburg. Händlern war es erlaubt, ihre Pferdefuhrwerke samt Waren über Nacht in der Turmhalle abzustellen.

„Das zeigt: St. Johannis war immer eine Bürgerkirche“, erläutert die Turmführerin weiter. „Anders als in Verden hatten wir hier nie einen Bischof. Als ein Bischof einmal Interesse an Lüneburg zeigte, übernahm der Stadtrat kurzerhand selbst das Patronat über die Kirchen St. Johannis und St. Nicolai. Man wollte sie nicht aus der Hand geben.“ Bis heute sind daher Mitglieder des Rates auch Mitglieder der jeweiligen Kirchenvorstände.

194 Stufen bis zur Turmspitze

Dann geht es hoch hinaus, exakt 194 Stufen sind es bis zur Spitze des Turms. Dorit Baumeister hat sie zwar nie selbst gezählt, aber in der Gilde kennt man die Zahl genau.

Bei einer Führung durch den von außen sichtbar schiefen Turm der Kirche darf die Geschichte über einen seiner Baumeister nicht fehlen: Der Legende nach stürzte er sich vom Turm, als er sah, wie schief sein Werk geraten war – landete aber zu seinem Glück halbwegs sanft auf einem mit Heu beladenen Pferdefuhrwerk.

Dabei war er vermutlich gar nicht schuld an der Schieflage: Der Turm neigt sich um 1,30 Meter nach Süden und 2,20 Meter nach Westen. Die Ursache liegt im Untergrund, erklärt Dorit Baumeister: Die heutige St.-Johanniskirche wurde auf dem Fundament einer früheren Kapelle errichtet. Der Boden dort war bereits verdichtet, der daneben nicht – so kam es zu Senkungen.

Der Blick von oben

Geschichten zu erzählen, das reizt nicht nur Dorit Baumeister an ihrem Ehrenamt. „Das tun wir alle aus der Turmführergilde gern“, sagt sie. Etwa ein Dutzend Männer und Frauen gehört dazu, sie bieten die Touren kostenlos an und bitten statt eines Honorars um Spenden für die jeweilige Kirchengemeinde.
Nach dem langen Aufstieg über steile Treppen ist die Gruppe am Ziel angekommen und steht dort, wo sonst an jedem Wochentag um 9 Uhr und jeden Samstag um 10 Uhr ein Turmbläser Choräle in alle vier Himmelsrichtungen aus den Fenstern hinausspielt.

Von hier aus lässt sich aus den Fenstern die Stadt von oben betrachten. Und das tut nicht nur Dorit Baumeister besonders gern, sondern auch Petra Dunkel. Die Lüneburgerin hat schon unzählige Kirchtürme in fremden Städten bestiegen – der von St. Johannis ist an diesem Samstag eine Premiere für sie. Die Tour gefällt ihr so gut, dass sie sogleich den Plan fasst, als Nächstes St. Nicolai zu erklimmen. „Das lasse ich mir nicht entgehen.“

Termine für Führungen

Den Sommer über bis Ende September führen die Ehrenamtlichen der Turmführergilde jeden Samstag durch die Türme von St. Johannis und St. Nicolai. In St. Johannis startet die Führung um 13 Uhr, in St. Nicolai um 14.30 Uhr. Treffpunkte sind jeweils in der Turmhalle, eine Anmeldung ist nicht nötig. Für größere Gruppen können unter der Nummer 04131/89 83 711 eigene Termine vereinbart werden. Mehr Informationen unter www.turmfuehrergil.de.