„die straße“ verliert einen echten Macher

Die Straßenzeitung „die straße“ ist längst bekannter Bestandteil der Westmecklenburger Medienlandschaft. Nun geht der verantwortliche Redakteur in den Ruhestand – ein Nachfolger muss noch gefunden werden.

Horst Pfeifer (l.) mit einem Redaktionsmitglied, der auch Verkäufer ist, im Gespräch. Kritischer Beobachter ist „die Eule“, ein Sozial- und Medienpreis, den die Redaktion 2010 bekam.
Horst Pfeifer (l.) mit einem Redaktionsmitglied, der auch Verkäufer ist, im Gespräch. Kritischer Beobachter ist „die Eule“, ein Sozial- und Medienpreis, den die Redaktion 2010 bekam.epd/Tilman Baier

Schwerin. Es ist einer seiner letzten Arbeitstage vor dem Ruhestand. Horst Pfeifer, leitender Redakteur der Straßenzeitung für Westmecklenburg „die straße“, lädt zum Gespräch in den Redaktionsraum am Dreescher Markt 2. Hier ist auch die Job-Tafel zu Hause, einer Einrichtung der Evangelischen Suchtkrankenhilfe MV gGmbH, die Herausgeber der Straßenzeitung ist.

Horst Pfeifer blickt am Ende seines Berufslebens auf eine stolze Bilanz zurück: Im November 1995 erschien die erste Straßenzeitung in Schwerin. Als Träger fungierte „Start e.V. – ein Verein unter dem Dach der Diakonie. „Das war damals ein richtiger Gründungsboom von Straßenzeitungen“, erzählt Pfeifer. So wurde kurz nach der Schweriner „die straße“ in Rostock „Der Strohhalm“ gegründet.

Bald expandierte auch „die straße“. Seit 1998 wird sie ebenfalls in Ludwigslust, Güstrow, Wismar und Crivitz verkauft, wenn es geeignete Verkäufer vor Ort gibt. Doch es ist nicht immer einfach, diese zu finden, erklärt Pfeifer. Aber es sei nun einmal die wichtigste Aufgabe einer Straßenzeitung, Menschen mit dem Verkauf eine Aufgabe zu geben, einen Grund, morgens aufzustehen und rauszugehen in die Öffentlichkeit, Kontakte aufzunehmen. Das ist auch der Grund, warum es „die straße“ nur als gedrucktes Exemplar und nicht digital gibt.

Straßenzeitung ist ein echtes Team-Projekt

Es braucht Mut, sich nach dem sozialen Abseits wieder sichtbar zu machen. Manche der langjährigen Verkäufer haben ihm erzählt, dass es in den Anfangszeiten der Straßenzeitung viele spitze Bemerkungen und auch böse Anfeindungen gab. Das habe aber bald nachgelassen. Denn die Verkäufer achten auch untereinander darauf, dass sich keiner daneben benimmt. Alkohol und andere Drogen sind ebenso tabu wie Betteln, wenn sie mit den Zeitungen unterwegs sind, so steht es in den Statuten. Etliche der Verkäufer sind bereits seit 1995, dem Gründungsjahr der Zeitung, dabei. 14 Männer und 3 Frauen sind es zurzeit, die mit der Straßenzeitung in Fußgängerzonen, vor Einkaufspassagen und Kirchen stehen und möglichst unaufdringlich, aber sicht- und ansprechbar die Straßenzeitung anbieten. Sie schauen auch nach neuen Verkäufern und empfehlen mögliche Kandidaten weiter an Redaktion und Herausgeber.

4500 Exemplare sind nach kurzer Zeit restlos ausverkauft

Neben einer freundlich zugewandten Art, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, gibt es auch ganz simple Fakten, die die potenziellen Verkäufer mitbringen müssen, erklärt Pfeifer. Sie müssen sich ausweisen können, die deutsche Sprache beherrschen, Bezieher von Arbeitslosengeld II oder einer sehr kleinen Rente sein. Alle zwei Monate erscheint ein neues Heft, gedruckt werden derzeit 4500 Exemplare. „Die Auflage ist immer restlos ausverkauft“, vermeldet Pfeifer stolz. Dabei müssen die Verkäufer in Vorkasse gehen. 60 Cent kostet sie ein Exemplar, für 1,20 Euro, so der Preis auf der Titelseite, dürfen sie verkaufen.

2006 wurde der Start e.V. von der Evangelischen Suchtberatungsstelle MV gGmbH unter deren Leiter Peter Grosch und der Prokuristin Katrin Kuphal übernommen, damals noch mit Sitz im „Haus der Begegnung“ in der Perleberger Straße. Seitdem ist Pfeifer dabei. Der gelernte Werbetexter und Werbekaufmann war nach einer persönlichen Krise vom Arbeitsamt auf die Straßenzeitung aufmerksam gemacht worden. Ein halbes Jahr schaute Pfeifer der damaligen Redaktionsleiterin Marion Meyer als Assistent über die Schulter. Dann übernahm er das Amt – ein Glücksfall für ihn und die Straßenzeitung. Denn seitdem wurde seine Stelle, 40 Stunden Vollzeit, durch die Langzeitförderung des Arbeitsamtes unterhalten.

Themen stets mit Bezug zur Region

Seit 2006 gibt es auch einen ehrenamtlichen, bunt zusammengesetzten Redaktionskreis. Bis zu Pandemie traf der sich regelmäßig, derzeit muss das Telefon ausreichen. Der Kreis sucht nach einem übergreifenden Heftthema, einer Idee für das Titelbild und liefert auch Artikel für die 24 Seiten zu. „Dabei geht es oft hoch her“, berichtet Pfeifer, „aber immer mit Respekt voreinander.“ Bewusst wird dabei auf eine vielfältige bunte Themenmischung gesetzt, die möglichst vieepdle Bezüge zur Region Westmecklenburg bietet.

Dazu zählen kleine Reportagen, Buchrezensionen, Beiträge zur regionalen Geschichte, Unterhaltsames, ebenso ein geistlicher Impuls, mit dem auch für Nichtchristen etwas anfangen können. Selbstverständlich gehören auch Beiträge zu sozialen Themen dazu. Dabei lautet Pfeifers Credo allerdings: „Andere schreiben über die Politik, wir berichten über die Folgen.“ Vor allem aber möchte „die straße“ ein „Mutmachmagazin“ sein, wie Pfeifer es nennt.

Redaktion muss Nachfolge Pfeifers noch klären

Dabei bemüht sich die Redaktion um eine gute, aber leicht verständliche Schriftsprache, möglichst ohne Fremdworte. Das brachte ihr 2014 ein Lob des Vereins für Deutsche Sprache ein. Besonders gefreut hat die Redaktion, als ihre Zeitung 2010 „die Eule“ erhielt, den Sozialpreis des „Hauses der Begegnung“. Nun geht Horst Pfeifer in den Ruhestand. Er und die Herausgeber hoffen, dass bis Ende August geklärt wird, wie es weitergeht. Darauf warten auch die Verkäufer – und ebenso die Eule im Redaktionsbüro.