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Die schreckliche Schönheit der Ozeane

Der Weltraum: unendliche, unerforschte Weiten? Das sei relativ, meint die US-Ozeanografin Sylvia Earle. Planeten wie Mond und Mars seien deutlich besser kartografiert als die Weltmeere. „Die vielleicht größte Entdeckung des 20. Jahrhunderts über die Ozeane war das Ausmaß unserer Unwissenheit“, stellt Earle fest, die zu den weltweit führenden Meeresforschern zählt. Zugleich sind die Ozeane heute durch Klimaerwärmung und Umweltverschmutzung gefährdet. Ein Grund für die Vereinten Nationen, 2021 die Ozeandekade auszurufen – und für die Bundeskunsthalle Anlass, sich in die Tiefen der Meeresforschung und der maritimen Geschichte zu begeben.

Mit der Ausstellung „Expedition Weltmeere“ beleuchtet die Bundeskunsthalle ab Donnerstag die vielfältige Bedeutung der Meere für den Menschen und das Leben auf der Erde. Thema ist nicht nur die Geschichte der Erforschung der Meere und ihre Bedeutung als Nahrungs- und Rohstoffquelle sowie als Klimaregulator. Auch als Sehnsuchtsort, Schauplatz von Mythen und als Ort von Migration, Abenteuern und Expeditionen spielen die Ozeane eine zentrale Rolle für den Menschen. Über allem schwebt die drohende Gefahr ihrer Zerstörung durch Klimawandel und Umweltverschmutzung.

Die Ausstellung, die bis zum 6. April 2026 zu sehen ist, vereint zahlreiche Objekte und Dokumente aus Wissenschaft und Geschichte mit Kunstwerken verschiedener Jahrhunderte. Es geht nicht nur um Wissensvermittlung. „Wir zeigen die schreckliche Schönheit der Meere und den Reichtum und die Artenvielfalt eines unbekannten Kontinents“, sagt Kuratorin Agnieszka Lulinska. Denn obgleich die Weltmeere fast 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, sind sie in ihrer Gesamtheit nur zu fünf Prozent erforscht.

Eine Zeitenwende für die Erforschung der Meere war das 18. Jahrhundert mit der Erfindung des Sextanten und des Chronometers sowie ersten wissenschaftlichen Seekarten. Die Schau zeigt eine Reihe historischer nautischer Instrumente. Heute sind die tiefsten Stellen der Ozeane trotz moderner Technik immer noch rätselhaft. Mit ihrer Erkundung beschäftigt sich das Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Kooperationspartner der Bundeskunsthalle. Die Ausstellung präsentiert Originalinstrumente des Forschungsinstituts wie etwa Echolote. Zu sehen ist auch das Modell eines Tauchbootes. „Die Tiefsee ist so wenig erforscht, dass wirklich jeder Tauchgang etwas fundamental Neues ans Licht bringt“, erklärt dazu die Meeresbiologin Antje Boetius.

Lebewesen aus den Tiefen des Meeres übten von jeher eine Faszination auf Künstlerinnen und Künstler aus. Ende des 19. Jahrhunderts schufen Leopold und Rudolf Blaschka Glasobjekte nach Zeichnungen, die Meerestiere wie Quallen, kleine Tintenfische oder Schnecken naturgetreu nachbilden. Bis heute ist unklar, mit welcher Technik es den Glaskünstlern gelang, diese feinteiligen Objekte herzustellen. Dem Fotografen Alfred Ehrhardt (1901-1984), einem Vertreter der Neuen Sachlichkeit, gelang es, Muscheln und andere Meerestiere so auszuleuchten, dass sie als Kunstobjekte erscheinen.

In der Gegenwartskunst steht vielfach die Gefährdung der maritimen Lebenswelt im Zentrum. Die britische Fotokünstlerin Mandy Barker schuf Bilder mit arrangiertem Plastikmüll aus dem Meer. Die australischen Schwestern Margaret und Christine Wertheim starteten vor gut 20 Jahren ein Kunstprojekt, um auf die Zerstörung von Korallenriffen aufmerksam zu machen. Sie riefen Menschen weltweit dazu auf, Teile von Korallenriffen zu häkeln. Zwei der daraus entstandenen Installationen sind in der Bundeskunsthalle zu sehen.