Die Pflegeversicherung braucht eine Generalüberholung

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt. Und die Pflegeversicherung steht unter immer größerem Druck. Eine Kommission hat Vorschläge zur Neuaufstellung gemacht. Das Kabinett will sie am Mittwoch beraten.

Deutschland hat ein Pflegeproblem. Während in einer alternden Gesellschaft die Zahl der Pflegebedürftigen stark steigt, leeren sich die Kassen der Pflegeversicherung. Die Corona-Pandemie hat mit erheblichen Mehrausgaben ihren Beitrag dazu geleistet. Die Änderungen bei der Einstufung von Pflegebedürftigkeit in den vergangenen Jahren ebenfalls. Zudem steigt die Zahl der Pflegebedürftigen weit stärker als berechnet: Im vergangenen Jahr war es ein Plus von 360.000. Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein “nahezu explosionsartiger” Anstieg, auch wenn etwa der Medizinische Dienst als Pflegegutachter dagegen hält, dass der Anstieg und die Höherstufung Pflegebedürftiger lange absehbar waren.

Fest steht: Die Regierung ist unter Zugzwang. Ein Weiter-So scheint unmöglich. Entsprechend hat eine Kommission einen Bericht mit Vorschlägen erarbeitet. Dieser soll am Mittwoch im Kabinett verabschiedet werden. Daraus folgende Gesetzesänderungen dürften aber zeitnah keine kommen. Zumindest gibt sich Minister Lauterbach pessimistisch. Zu unterschiedlich sind die Wünsche der Koalitionspartner und weiteren Beteiligten. Da hilft wohl auch nicht der Optimismus von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der jüngst rasche Konsequenzen aus dem Bericht ankündigte.

Der Bericht macht zunächst eine Bestandsaufnahme. Weiterhin wird der Großteil der rund 5,2 Millionen Pflegebedürftigen ambulant versorgt. Im vergangenen Jahr waren es etwa 84 Prozent. Hier sind es im Regelfall die Angehörigen, die pflegen und dafür Pflegegeld erhalten. Rund 700.000 Menschen waren in vollstationärer Pflege, etwa 140.000 in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe.

Die Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung lagen 2023 bei etwa 59,2 Milliarden Euro. Davon fielen 36,2 Milliarden Euro für ambulante Leistungen und 19,7 Milliarden Euro für stationäre Leistungen an. Der vollstationäre Bereich macht daher mehr als ein Drittel der Gesamtausgaben aus, wobei nur 13 Prozent der Pflegebedürftigen vollstationär versorgt werden. Berichten zufolge ist die finanzielle Situation dramatisch; die Kassen müssen noch stärker an ihre Rücklagen gehen.

Dabei wird über die Pflegeversicherung ja stets nur ein Teil der Betreuungskosten gedeckt. Die privaten Eigenanteile der Pflegebedürftigen oder Angehörigen sind je nach Situation erheblich. Bei einer stationären Heimbetreuung können es bis zu 2.700 Euro pro Monat zusätzlich sein. Zur ambulanten Pflege gibt es kaum Daten, was die Angehörigen zusätzlich bezahlen.

Im Kommissionsbericht werden vier Modelle vorgeschlagen. Zwei davon wie bisher mit einer Teilfinanzierung durch die Pflegebedürftigen, zwei mit einer Vollfinanzierung. Die erste Variante wäre ein Fortführen des Status quo. Also ein Zusammenspiel aus Versichertenbeiträgen, Geld vom Steuerzahler und privaten Eigenleistungen. Alternativ schlagen die Autoren eine Weiterentwicklung des bisherigen Systems vor, in dem der private Eigenanteil reduziert wird und zusätzlich eine neue, verpflichtende individuelle Vorsorge eingeführt wird. Bei einer möglichen Vollfinanzierung sind die beiden Vorschläge entweder eine umlagefinanzierte Vollversicherung, finanziert durch Beiträge und Steuermittel. Oder aber eine Vollversicherung, die allein mit einem Umlageverfahren finanziert wird.

Die zusätzlichen Kosten sind laut Bericht abhängig von der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Aber: Eine Finanzierungslücke von 0,5 bis 2,6 Beitragssatzpunkten scheint denkbar. Im Mittel rund 24 Milliarden Euro. Eine Vollversicherung der Pflege im Umlageverfahren könnte bis 2060 sogar bis zu 250 Milliarden Euro kosten. Die Kassen hatten bereits ab 2025 ein Plus von 0,2 Prozentpunkten bei der Pflegeversicherung prognostiziert.

Aus Sicht von Verbänden sind die Vorschläge wenig zielführend und vor allem nicht wirklich neu. Der Sozialverband VdK etwa fordert eine “einheitliche Pflegeversicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger, also auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige einzahlen”. Die Privatversicherten müssten endlich ihren Beiträg zur Finanzierung der Pflege leisten.