Die perfekte Schmökerzeit

In der dunklen Jahreszeit zieht man sich gerne in die Wohnung zurück – der perfekte Ort für entspanntes Lesevergnügen. Von Winterbüchern und Leseritualen

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In der kalten Jahreszeit sind Lese- und Vorlesestunden beliebt – in den Familien, Schulen, daheim auf dem Sofa. „Mein Sub wird immer größer,“ konstatiert Gudrun Meier. In ihrem Bekanntenkreis ist „Sub“ die Abkürzung für „Stapel ungelesener Bücher“. Und der wächst und wächst, obwohl – oder gerade weil – Gudrun Meier eine echte Vielleserin ist. Die Frührentnerin ist Stammkundin einer Bücherei, stöbert gerne in Buchhandlungen, hört interessiert die Buchempfehlungen im Radio, kann an Bestsellerlisten schlecht vorbeigehen und erhält vor allem viele Büchergeschenke. Auch zu Weihnachten lag wieder das ein oder andere Buch auf dem Gabentisch. Familie und Freunde kennen ihre Lesebegeisterung.

Der Frühstückstisch als idealer Leseplatz

Gudrun Meier hat viel Zeit. Für Tim Rosenthal gilt das nicht. Der Jugendreferent einer Freien Gemeinde ist voll berufstätig, aber sein Arbeitstag beginnt meist erst gegen Mittag. Den Tag beginnt er deshalb mit ausgedehnter Lektüre am Frühstückstisch. Der ist sein bevorzugter Leseplatz, bei einer Tasse Kaffee arbeitet er dort reli-gionspädagogische oder theologische Fachbücher durch. In der einen Hand die Kaffeetasse, in der anderen ein Kugelschreiber, mit dem er unterstreicht oder sich Notizen macht. Das ist für Tim Rosenthal der ideale Einstieg in den Tag. Diese stille Stunde genießt er und verbindet Muße mit Arbeit.
Der junge Gemeindemitarbeiter ist eine Ausnahme, nur Eltern von jüngeren Kindern haben derart ausgeprägte Zeiten und Rituale. Das abendliche Vorlesen ist in vielen Familien eine liebgewonnene Tradition. Die Kinder werden ruhig beim Betrachten eines Bilderbuches sowie durch die Stimme von Vater oder Mutter. Und auch die Eltern lieben das entspannte Zusammensein am Ende des Tages.
Für viele Erwachsene ist Lesen aber nicht nur Freizeitbeschäftigung, sondern Teil ihrer Arbeit: Fachliteratur, Mails, Aktennotizen und Ausschreibungen – wer im Büro arbeitet, zur Schule geht oder studiert, der verbringt einen erheblichen Teil seiner Zeit mit Lesen, vielfach am Bildschirm von Computer oder E-Book-Reader. Wer in seiner Freizeit gerne liest, kann seiner Leidenschaft dadurch einen neuen Reiz geben, dass er andere Themen und Medien als im Job wählt.
Statt trockener Akten spannende oder gruselige Romane, statt Kundenanfragen generationenübergreifende Familienschicksale. Diese Abwechslung bringt Vergnügen, das Abtauchen in andere Welten Entspannung. Der Winter ist dabei ideal für dickleibige Romane. Es ist früh dunkel, Aktivitäten im Freien wie Gartenarbeit oder Sport entfallen weitgehend. Was will man da machen, wenn man abends nicht vor dem Fernseher enden will? Genau: Lesen!

Die Glotze ausschalten, Buch zur Hand nehmen

Wahrscheinlich ist es deshalb kein Zufall, dass die Buchverlage ihre Neuerscheinungen nach den Jahreszeiten ausrichten. Erscheinen im Frühjahr eher leichte Sommerromane, die auf den Urlaub einstimmen, führen die Herbstnovitäten den Winter im Titel, sind in der kalten Jahreszeit angesiedelt oder ein wenig düsterer eingefärbt als die Frühjahrsnovitäten: Familiengeheimnisse, Tod und Tragik – so kalt und unwirtlich wie die Natur sind auch diese Romane.
Aber auch im Winter richtet sich die Romanlektüre schlicht nach freien Zeiten und der Fähigkeit, die Umgebung auszublenden. Haben deshalb die einen immer ein Buch dabei, um auf dem Weg zur Arbeit die Zeit in Bus und Bahn zu überbrücken, brauchen andere Ruhe und eine entspannte Atmosphäre, um sich überhaupt auf den Text einlassen zu können. Manch einer schwört auf seinen Lesesessel, andere auf das Bett oder die Badewanne – in Amerika wurde der 9. Februar sogar zum Tag des Lesens in der Badewanne ausgerufen. Hierzulande wird im Winter gerne vorgelesen. Und oft genug weitet sich die Lese- oder Vorlesesituation zum geselligen Ereignis.