Die Neue Ostpolitik und die Ostverträge

Die sogenannte Neue Ostpolitik war das Kernprojekt der SPD-FDP-Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt (SPD) zwischen 1969 und 1974. Sie sollte einen politischen Ausgleich und eine Versöhnung mit den Staaten Ost- und Ostmitteleuropas herbeiführen.

Schon als Regierender Bürgermeister Berlins hatte Brandt mit seinem Sprecher Egon Bahr Abkommen mit den östlichen Nachbarn abgeschlossen. 1963 fädelten sie das erste Passierscheinabkommen ein, das es West-Berlinern erlaubte, den Ostteil der Stadt zu besuchen. Als Brandt 1969 Bundeskanzler wurde, drehten er und Bahr dieses Rad in größerem Maßstab weiter. Die Neue Ostpolitik wurde ihr Lebenswerk.

Der Moskauer Vertrag mit der UdSSR leitete 1970 eine Reihe von Abkommen ein. Das Prinzip dieser Verträge war immer gleich: Beide Seiten verzichteten darauf, ihre Maximalforderungen durchzusetzen, weil sie ohnehin nicht durchsetzbar waren, aber sie gaben sie nicht grundsätzlich auf. Dafür suchten sie pragmatische Lösungen für bestehende Probleme. Die Bundesrepublik und ihre Vertragspartner erklären, in ihren Beziehungen auf Gewalt verzichten zu wollen. Die Papiere bezeichneten die bestehenden Grenzen als unverletzlich.

Der Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 legte die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze fest. Vor der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags fiel Brandt vor dem Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos auf die Knie. Das Foto des knienden Brandt ist eines der prägenden Bilder des 20. Jahrhunderts.

1971 ermöglichte das Transitabkommen Menschen aus der Bundesrepublik, über DDR-Territorium nach West-Berlin zu fahren. Ein Reiseabkommen erlaubte ihnen Besuche in Ostdeutschland. Im Grundlagenvertrag mit der DDR vom 21. Dezember 1972 rückte die Bundesrepublik erstmals von ihrem Anspruch ab, sie allein dürfe die Deutschen vertreten. Die Anerkennung reichte aber nicht so weit, dass die BRD bereit war, Botschafter mit dem ostdeutschen Staat auszutauschen. Dafür schickten Bonn und Ost-Berlin nun „Ständige Vertreter“ an die Regierungssitze der jeweiligen Gegenseite, was faktisch fast auf dasselbe hinauslief.

Der Prager Vertrag vom 11. Dezember 1973 erklärte das Münchener Abkommen von 1938 für nichtig. In München hatte Adolf Hitler die Abtretung des Sudetenlands erpresst.

Für die DDR bedeutete die Neue Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung neben wirtschaftlichen Impulsen die Chance, aus der internationalen Isolation auszubrechen. Nach dem Grundlagenvertrag nahmen nach und nach fast alle Staaten der Erde diplomatische Beziehungen zum SED-Staat auf. Am 18. September 1973 traten beide deutschen Staaten als Vollmitglieder den Vereinten Nationen bei.

Konservative Kräfte in Westdeutschland weigerten sich lange, den Anspruch auf die Gebiete östlich von Oder und Neiße aufzugeben. Vertriebenenverbände und die Unionsparteien bekämpften die Neue Ostpolitik. Brandt hingegen kommentierte: „Es wird nichts aufgegeben, was nicht längst verspielt wurde.“ 1971 erhielt er für die Neue Ostpolitik den Friedensnobelpreis.