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Die “Lorelei” im Original oder gerappt

Das Lied steht in einer Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne in Marbach im Mittelpunkt. Das Lied begleite wie keine andere musikalische Gattung so existenziell das menschliche Leben, sagte die Kuratorin der Ausstellung, Gunilla Eschenbach, am Donnerstag bei einer Pressevorbesichtigung. Die Schau, die von 24. September bis zum 3. Februar 2024 zu sehen ist, steht unter dem Titel „Singen! Lied und Literatur“ und will Lieder in die sozialen Kontexte stellen, in denen sie erklingen.

Mit einer „Liedmaschine“ von James Krüss werden die Besucher am Eingang begrüßt – ein Buch, das das Verfassen von Liedtexten nach dem Baukastenprinzip mit verschiedenen Versatzstücken von Liedern erlaubt. Im Ausstellungsraum befinden sich 45 Exponate, die in fünf Themenbereiche – Geburt, Natur, Liebe, Politik und Tod – aufgeteilt sind und mit Hörstationen zum Erklingen gebracht werden. Die Exponate stammen aus dem Musikalienbestand des Deutschen Literaturarchivs (DLA) Marbach mit seinen rund 5.100 Notendrucken und 2.800 Notenhandschriften vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.

Die erste Station „Geburt“ zeigt, dass es überall auf der Welt Wiegenlieder mit ähnlichen Strukturen, gibt. Goethe hat bei seinem berühmtesten Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh‘“ wahrscheinlich ein Wiegenlied imitiert, mit dem er als Kind in den Schlaf gesungen wurde.

Ein Höhepunkt der Ausstellung ist das handschriftliche Original von Friedrichs Silchers (1789-1860) berühmter Vertonung von Heinrichs Heines Gedicht der „Lorelei“, sowie der Erstdruck des Textes der Ode „An die Freude“ von Friedrich Schiller in seiner ersten, eher unbekannten Vertonung von seinem befreundeten Mäzen Christian Gottfried Körner (1756-1831).

Bei der Station „Politik“ ist die „Hymne an Deutschland“ von Rudolf Alexander Schröder (1878-1962) zu sehen, die auf Wunsch des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss nach dem Zweiten Weltkrieg neue deutsche Nationalhymne werden sollte. Doch wegen der choralartigen, wenig hymnenhaften Melodie des Komponisten Hermann Reutter bekam sie kaum Unterstützung vom Volk und fiel deshalb durch.

Sterbende können bis zuletzt hören, und Lieder können helfen, den Schmerz zu ertragen. Bei der Station „Tod“ findet sich das jüngste Ausstellungsobjekt: In der Corona-Pandemie hat Christian Immo Schneider (geb. 1935) das letzte Gedicht von Hermann Hesse „Knarren eines geknickten Asts“ neu vertont und beklagt darin die hohe Zahl an erkrankten und verstorbenen Opfern der Pandemie.

Auch die Originalhandschrift von Jochen Kleppers (1903-1942) „Weihnachtskyrie“ wird gezeigt, in dem er an Weihnachten 1937 Trost sucht, da seine Frau und die Kinder jüdisch und daher bedroht sind. Einige Jahre später, 1942, beging die Familie Klepper Suizid.

Die Ausstellung zeigt auch ein bisher unveröffentlichtes Lied des böhmischen Komponisten Ignaz Moscheles (1794-1870) sowie eine lange verschollene Komposition von Ferdinand Pfohl (1862-1949), die wie andere seiner Lieder erst im Zuge der Ausstellungsvorbereitung zum Vorschein kam.

Am Ende lädt eine „SongToolBox“ die Besucher ein, ihre eigenen Lieder zu produzieren und als Video aufzunehmen, wie beispielsweise einen Rap zum Lorelei-Lied. Die Schau findet im Rahmen der fünfteiligen Reihe „#Literatur bewegt“ statt. Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. (2258/21.09.2023)