Die Kirchenbank von Ebay

Wie die „Basis:Kirche“ online Sinnsucher locken soll

Seit Januar gibt es einen Youtube-Kanal der evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Bremen. Er heißt: „Basis:Kirche“. Videos mit Beiträgen aus Kirche und Diakonie sollen hier junge Menschen ansprechen. Nach einem halben Jahr zeigt sich, dass das gar nicht so einfach ist.

Zwei junge Frauen laufen über einen Friedhof, auf dem Weg zu einem Grab. Sie heißen Ina und Andrea. Andrea erzählt, wie sie ihren Sohn Hannes verloren hat, gestorben an plötzlichem Kindstod, nach 16 Wochen und sechs Tagen auf dieser Welt. „Du konntest es sehen, da war nichts mehr. Wir haben sofort mit der Reanimation angefangen“, erinnert sich Andrea. Kurz darauf stehen sie am Grab von Hannes.

Ina ist Pastorin in Loga, Ostfriesland. Auf dem Friedhof wurden sie von Christian begleitet, einem Kameramann. Entstanden ist ein Film mit der Überschrift „Plötzlicher Kindstod Erfahrung: Wenn dein Baby stirbt – Was ist passiert?“, er dauert 20 Minuten und ist auf der Internet-Video-Plattform Youtube zu sehen. Es ist eine Produktion der „Basis:Kirche“.

Seit Januar gibt es die „Basis:Kirche“ im Internet. Hinter dem Youtube-Kanal und Social-Media Auftritten stehen die evangelischen Kirchen in Niedersachsen und die reformierte Kirche und zwei Freikirchen, rund 270 000 Euro haben sie zunächst in das Projekt gesteckt. Der Evangelische Rundfunkdienst Niedersachsen-Bremen (EKN) produziert die Beiträge. Zehn Personen gehören zum dortigen Team. „Wir möchten Themen für die Menschen im Internet machen“, sagt EKN-Chefredakteurin Katharina Schreiber-Hagen. Menschen zwischen 20 und 45 Jahren, Menschen auf der Suche.

Mehr als 63 000 dieser Menschen haben bereits Ina und An­drea auf dem Friedhof begleitet. Der Grund: Die richtigen Worte, die die Suchmaschinen finden. Die Platzierung: Der Youtube-Algorithmus schlägt das Video nach einer anderen Reportage vor, in der ebenfalls eine Mutter erzählt, dass sie ihr Kind verloren hat, erklärt Hannah Siegmann, sie ist Social-Media-Redakteurin der „Basis:Kirche“. „Von selber landen die Menschen nicht bei uns. Sie wissen nämlich nicht, dass es uns gibt“, sagt Katharina Schreiber-Hagen.

Aber was sie sehen, das gefällt ihnen. Eine junge Pastorin, die zuhört. Eine Seelsorgerin. Und das mache den Unterschied aus. „Sonst gibt es einen Reporter, der höchstens ‚krass‘ sagt“, schildert Hannah Siegmann die mediale Überforderung angesichts existenzieller Themen. „Wir haben Theologinnen, die etwas mehr geben.“

Theologinnen wie Ina Jäckel. Sie gehört zu den 30 Aktiven, hier „Creator“ genannt, aus Kirchengemeinde und Universitäten, deren Gesichter die „Basis:Kirche“ ausmachen. „Wenn ich vor der Kamera stehe, bin ich einfach ich, Ina. Und dann natürlich Pastorin“, reflektiert sie ihre Rolle. „Im Gespräch mit Andrea habe ich mich als Seelsorgerin gesehen.“ Genau das vermittelt das Video. Ina Jäckel fragt nach, nickt, tastet sich manchmal fragend voran, achtet Grenzen, begleitet Andrea nicht nur auf dem Friedhof, sondern auch nach Hause. Von Andreas Wohnzimmer geht es bis zur Truhe mit Erinnerung an das verstorbene Kind.

Einen Tag dauerte der Dreh, erzählt Ina Jäckel später. „Das war sehr intensiv und berührend. Andrea hat uns so offen, so warmherzig erzählt, wie es war, als ihr Baby so plötzlich gestorben ist und wie sie als Paar und als Familie gelernt haben, irgendwie weiterzuleben.“ Die meiste Zeit habe sie, Mutter von vier Kindern, einen Kloß im Hals gehabt.

Seelsorge im öffentlichen Raum

Seelsorge findet normalerweise im geschützten Raum unter Schweigepflicht statt. Wie ging es da einer Seelsorgerin vor der Kamera? „Andrea habe ich als sehr reflektiert erlebt“, sagt Ina Jäckel. Sie habe entschieden, was sie mit der Öffentlichkeit teilen wollte. „Man darf nicht vergessen, dass in den Reportagen Menschen Seelsorgerinnen ihre Geschichte erzählen. Das ist nicht gleichzusetzen mit einem Seelsorgegespräch.“ Diese seien vertraulich, „und in einem vertraulichen Rahmen hätten wir sicher auch anders miteinander gesprochen“.

Auf ihr Team, das die Auseinandersetzung mit den Extremen von Leben und Tod nicht scheut, setzt die „Basis:Kirche“. 2740 Abonnenten hatte sie im Juli. Das ist zu wenig. „Egal, wie gut unsere Videos sind, wenn man sie nicht findet, dann bleiben sie in der Kirchenbubble“, macht Schreiber-Hagen deutlich. Die Videos bleiben in Kirche und hier bleibt man unter sich.

Um das zu ändern, wurden 500 Zuschauer der „Basis:Kirche“ von einem Marktforschungsunternehmen befragt. „Das Erschreckende ist, dass, wenn direkt nach ihnen gefragt wird, der Themenbereich Glaube und Religion auf Ablehnung stößt“, sagt Katharina Schreiber-Hagen. „Kirchliche Inhalte aber nicht. Menschen interessieren sich sehr für Themen wie psychische Gesundheit, Seelsorge, Geldsorgen – Themen der Diakonie.“ Die Lehre: Leere. Im Videoangebot. Denn die Basiskirche begann mit langen und kurzen Videos, mit Frage-Antwort-Formaten, mit christlichem Yoga, Konfetti-Segen, mit Reportagen und Porträts. „Es war sehr bunt“, sagt Hannah Siegmann. „Es war bunt und stand im leeren Raum – wir haben Videos ohne Wurzeln und Zusammenhänge.“

Jetzt im September beginnt die „Basis:Kirche“ neu. Mittwoch mit einer Reportage, Sonntag mit einem sogenannten „Follow-Up“, der Fortsetzung. „Das kann eine Predigt zu einem Thema sein, das die Reportage aufwirft. ein weiteres Gespräch oder ein Gebet“, erklärt Katharina Schreiber-Hagen. Es soll um Vertiefung gehen, um einen Zusammenhang – um Wurzeln eben. Das Studio, in dem beispielsweise Pastorin Hanna Jacobs und Pastor Chris Schlicht regelmäßig große und kleine Fragen des Glaubens beantworten, wird dazu umgebaut. Im Hintergrund soll eine pinkfarbene Kirchenbank stehen, ersteigert bei E-Bay für 200 Euro in Bad Reichenhall, renoviert und frisch gestrichen auf einem Hof in Niedersachsen. Auch davon gibt es Filme. „Sie steht für die ‚Basis:Kirche‘. Eine alte, kaputte Kirchenbank wurde aufgemöbelt und ist jetzt pink“, sagt Katharina Hagen. „Man sieht sie nicht auf den ersten Blick. Aber wenn man es weiß, hat es eine andere Bedeutung.“

Die pinkfarbene Kirchenbank im Hintergrund zeigt das, was das Team der „Basis:Kirche“ längst weiß. „Wenn wir sofort zeigen, dass wir Kirche sind, schalten die Leute ab“, sagt Katharina Schreiber-Hagen. Zugleich sei es jedoch auch wichtig, dass die Absender deutlich gemacht werden – nachdem die Beiträge gesehen wurden. „Und im besten Fall merken die Leute: ‚Cool, das hat ja Kirche gemacht‘.“ Keine Kirche in der Mogelpackung sei das, sondern: Kirche in der Einstiegspackung.

Es gibt eine weitere Herausforderung für das Team der „Basis:Kirche“. „Außerkirchlich müssen wir bekannter werden. Aber innerkirchlich müssen wir erklären, warum wir das machen“, sagt Katharina Schreiber-Hagen. Die Videos wirkten so oberflächlich. Müssten alle blau gefärbte Haare und Tätowierungen haben? Auf derartige Vorbehalte stößt sie dann. Dabei erinnert schon der Name „Basis:Kirche“ an die „Basisbibel“. Auch die gehört zum Studioinventar. Und sie bleibt es.

• Unter www.basiskirche.de geht es zum Youtube-Kanal.