Die Historikerin Karina Urbach veröffentlicht einen neuen Krimi

Abhörtunnels, Kidnappings und die Dreharbeiten zu einem Klassiker der Filmgeschichte: Karina Urbach lässt das Wien in der Nachkriegszeit für ihren Krimi lebendig werden – auf der Basis von historischen Fakten.

„Filmleute können reisen, sie bekommen überall Zugang, jeder will sie kennenlernen und mit ihnen reden. Kein Mensch verdächtigt berühmte Schauspieler und Regisseure, für die Nachrichtendienste zu arbeiten. Es ist ein ideales Cover“, sagt Emma Spencer, eine fiktive Mitarbeiterin des englischen Geheimdienstes in dem neuen Krimi der Historikerin Karina Urbach: „Das Haus am Gordon Place“.

Karina Urbach ist zum zweiten Mal für einen Kriminalroman in die schattige Welt der Geheimdienste getaucht. Nachdem sie in ihrem ersten Krimi über den wahrscheinlich erfolgreichsten KGB-Spionagering der „Cambridge Five“ geschrieben hat, geht es nun um einen Mord in einer der besten Wohngegenden Londons. Der Schlüssel dazu liegt im Wien der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Der Krimi beruht auf historischen Tatsachen. Der britische Film „Der dritte Mann“ aus dem Jahr 1949 ist ein Klassiker der Filmgeschichte. Wenig bekannt allerdings ist, dass die Dreharbeiten für den Film als Deckmantel für eine Geheimdienstoperation dienten, dessen Hintergrund nicht bekannt ist. Der Regisseur des Films Carol Reed, der Produzent Alexander Korda und der Autor des Drehbuchs Graham Greene hatten zu dem Zeitpunkt für den britischen Auslandsnachrichtendienst MI6 gearbeitet.

Wien war damals wie Österreich auch in vier Besatzungszonen aufgeteilt und wimmelte vor Geheimagenten. Der britische Auslandsgeheimdienst hatte dort mehrere Abhörtunnel eingerichtet, sie spielen auch in Urbachs Krimi eine wichtige Rolle. „Den Spionagetunnel in Wien hat es wirklich gegeben, er war unterhalb eines Herrenausstatters gebaut worden. Der Laden lief ausgesprochen gut, niemand ahnte, dass er nur ein Covergeschäft war“, erzählt Urbach in einem Verlagsinterview und fügt hinzu: „Bis heute ist fast nichts über diesen Tunnel bekannt – wir haben nicht einmal Fotos davon, nur die Erinnerungen von Leuten, die dort unten gearbeitet haben.“

Ihr Wissen über Wien in der Nachkriegszeit hat sie unter anderem aus den Erzählungen ihrer Mutter, der Schauspielerin Wera Frydtberg, die zu der Zeit im Theater an der Josefsstadt engagiert war. Ihr Vater Otto Urbach war damals ebenfalls in Wien beruflich unterwegs – als Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdiensts. Die Autorin hat also ein durchaus biografisches Interesse an der Spionage. „Der Schlüssel sind immer die Väter“, heißt es in ihrem ersten Krimi und das trifft wohl auch auf die Autorin zu.

Es hat die Historikerin Urbach immer irritiert, dass Frauen in allen Büchern über Geheimdienste nur als Fußnote auftauchen, bemerkte sie im Nachwort ihres ersten Krimis „Cambridge 5“. In Filmen und Büchern würden sie immer nur in Nebenrollen als Mata-Hari-artige Verführerinnen dargestellt. Die Wirklichkeit sieht anders aus und das findet sich direkt in ihrem aktuellen Krimi widergespiegelt.

„Auch meine Hauptfigur Daphne Parson basiert auf einem authentischen Vorbild – der MI6 Agentin Daphne Park (1921–2010), später Baroness Park of Monmouth. 2008 konnte ich sie interviewen. Daphne Park spielte im Kalten Krieg eine wichtige Rolle, aber die Arbeit von Frauen in Geheimdiensten wird bis heute ignoriert“, sagt die Historikerin im Verlagsinterview.

„Mich hat interessiert, was diese Frauen wirklich getan haben und welche persönlichen Opfer sie für ihre Arbeit bringen mussten“, erzählt Urbach. „Daphne war als junge Frau 1948/49 nach Wien geschickt worden und erlebte dort die Kidnappings der sowjetischen Besatzungsmacht.“ Diese spielen auch in ihrem aktuellen Krimi „Das Haus am Gordon Place“ eine tragische Rolle.

Was vielen Frauen so zu schaffen macht, nämlich ab einem bestimmten Alter nicht mehr gesehen zu werden, ist für eine Geheimagentin durchaus ein Vorteil. Sie können so ihrer Arbeit besser nachgehen. Daphne Park war nach ihrem Arbeitsaufenthalt im Nachkriegs-Wien später in Moskau eingesetzt. Weil sie schon sehr früh aussah wie Miss Marple, also wie eine ältere, etwas mollige Frau, dachte der sowjetische Geheimdienst, sie wäre die Haushälterin in der britischen Botschaft, erzählt Urbach im Nachwort ihres neuen Krimis. Falsch gedacht.