Die heilige Weltgeschichte vor Augen führen

Dass Gott ein alter Mann mit Bart ist, glauben bis heute viele Kinder. Geprägt hat diese Vorstellung der Maler Julius Schnorr von Carolsfeld. Seine „Bibel in Bildern“ prägte über Jahrzehnte hinweg die Volksfrömmigkeit.

Die Kunst, davon ist Julius Schnorr von Carolsfeld überzeugt, ist eine Weltsprache. Sie bedarf keiner Übersetzung. Selbst Kinder können sie schon in ihren Grundzügen verstehen. Was also läge näher, als die Kunst zur Volksbildung einzusetzen? Dieser Gedanke steht am Anfang eines Projektes, das den Maler über viele Jahre hinweg beschäftigte: eine „Bibel in Bildern“.

Schnorr von Carolsfeld wurde vor 225 Jahren, am 26. März 1794, in Leipzig geboren. Ersten Unterricht erhielt er bei seinem Vater, dem Porträtmaler Veit Hanns Schnorr von Carolsfeld. Über Wien gelangte er im Herbst 1817 nach Italien, das Sehnsuchtsland vieler deutscher Künstler. Dort schloss er sich den „Nazarenern“ an, einer Gruppe von Malern, die die Kunst im Geiste des Christentums erneuern wollten (siehe Kasten unten).

Während andere romantische Maler ihre Bilder heroisch überhöhten, setzten die Nazarener auf naturgetreue Darstellungen. Noch wichtiger aber war ihnen eine feierliche Innerlichkeit, die der Erbauung des Betrachters dienen sollte – für den heutigen Geschmack aber oft kitschig wirkt.

Neben religiösen Themen wandten sich die Nazarener gerne historischen Stoffen zu. So gestalten sie in Rom den Palast des vermögenden Marchese Massimo mit Szenen nach Erzählungen von Dante, Tasso und Ariost. Die Ariost-Fresken übernahm Schnorr von Carolsfeld – und legte damit den Grundstein für seinen späteren Ruhm.

Der gute Ruf des jungen Malers kam auch dem bayerischen König Ludwig I. zu Ohren, der ihn 1827 als Professor an die Münchner Kunstakademie holte. Zugleich beauftragte er ihn, in seiner Residenz fünf Säle mit Szenen aus dem Nibelungenlied auszumalen. Wenig später übertrug er ihm auch die Gestaltung der sogenannten Kaisersäle mit Motiven aus der deutschen Geschichte.

In jenen Jahren nahm Schnorr von Carolsfeld auch ein Projekt wieder auf, das die Nazarener schon seit Jahren umgetrieben hatte: die Illustration der Bibel. Nachdem mehrere Versuche gescheitert waren, als Künstlergruppe gemeinsam eine Bibel herauszugeben, nahm Schnorr das Heft selbst in die Hand. Nach rund siebenjähriger Arbeit erschien 1850 im Cotta'schen Verlag eine Bibelausgabe mit 42 Holzschnitten aus der Hand des Meisters. Weitere Illustrationen steuerten zwei seiner Schüler bei.
Doch Schnorr von Carolsfeld, mittlerweile Professor an der Kunstakademie Dresden, wollte es nicht dabei belassen. Statt Bildern zur Bibel wollte er eine „Bibel in Bildern“ schaffen, die – von einleitenden Worten abgesehen – ganz ohne Text auskommen sollte. Ihm schwebte ein „Volksbuch“ vor, das „in kräftigen, frischen Zügen dem Volke die heilige Weltgeschichte“ vor Augen führt. Bewusst wählte er hierfür die Technik des Holzschnitts. Der war preisgünstig in der Herstellung und galt den Nazarenern in seiner kernigen Formensprache als besonders volksnah.

Der Leipziger Verleger Georg Wigand ließ sich von dem Projekt begeistern, mehr noch: Er hielt es für seine „nationale Ehrenpflicht“, auf diesem Wege sein Scherflein zur Volksbildung beizutragen. Acht Jahre dauerte es vom Konzept bis zur Veröffentlichung. 1860 erschien die erste Auflage der „Bibel in Bildern“.
Es sollte nicht die einzige bleiben. Im Gegenteil: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein erfreute sich das Buch großer Beliebtheit in Deutschland wie im europäischen Ausland. Und beeinflusste nachhaltig die Ikonographie. Dass etwa Gott Vater in Kinderbibeln meist als freundlicher alter Mann mit Bart dargestellt wird, geht auf Schnorr von Carolsfeld zurück.

In ihrer Beliebtheit sprengte die „Bibel in Bildern“ auch Konfessionsgrenzen. Obwohl der Maler – im Gegensatz zu den meisten anderen Nazarenern – Lutheraner war und blieb, fand seine Bibel auch Eingang in katholische Haushalte. 1909 brachte der Verlag W. Helbert gar einen Nachdruck mit dem Titel „Katholische Bilderbibel des Alten und Neuen Testaments“ heraus.
Schnorr von Carolsfeld starb, hochgeehrt, 1872 in Dresden. Er hinterließ fünf Söhne und zwei Töchter. Ein weiterer Sohn, der Tenor Ludwig Schnorr von Carolsfeld, war schon sieben Jahre zuvor gestorben. Auch er ging in die Geschichte ein – als erster Interpret von Wagners Tristan.