Die Berlin-Blockade durch die Sowjets endete vor 75 Jahren

Sie gilt als eine der größten Rettungsaktionen aller Zeiten: die Berliner Luftbrücke. Vorher verfeindet, sicherten die Westmächte nun das Überleben der Deutschen.

“Hurra, wir leben noch!”, steht auf einem Plakat, vorn an einem Auto festgemacht. Es bahnt sich seinen Weg durch eine strahlende, jubelnde Menschenmenge. Es ist Mitte Mai im Jahr 1949, als Männer und Frauen, Kinder und Alte in Westberlin aufatmen. Mehr als zwei Millionen Bewohnerinnen und Bewohner haben die Blockade durch die Sowjets überlebt – dank der Luftbrücke.

Es war die wohl größte Luftversorgungs-Aktion der Geschichte. Und eine der spektakulärsten Aktionen des beginnenden Kalten Krieges zwischen den vormals Verbündeten gegen Nazi-Deutschland. Noch wenige Jahre zuvor hatten Tag und Nacht die Bomber der Amerikaner und Briten die damalige Reichshauptstadt in Schutt und Asche gelegt. Nun versorgten sie all jene, die in den Sektoren der Westmächte lebten wie auf einer Insel inmitten des sowjetischen Machtbereichs.

Begonnen hatte die Blockade im Juni 1948; elf Monate zuvor. In einer Juninacht waren in Westberliner Wohnungen plötzlich die Lichter ausgegangen, Gasherde erloschen. Blockiert hatten die Sowjets sämtliche Zufahrtswege, sie hatten Strom- und Gaslieferungen abgebrochen, die Lebensmittelversorgung lahmgelegt. Die Stadt war buchstäblich vom einen auf den anderen Tag von der Außenwelt abgeschnitten. “Die wollten Berlin kassieren und haben gedacht, mit Aushungern schaffen sie’s am schnellsten”, so schilderte es die Zeitzeugin Anita Stapel dem “Spiegel”.

Die Westmächte sollten so zum Abzug ihrer Truppen gedrängt werden. “Die Angst, dass sie uns verlassen, dass wir den Russen in die Hände fallen würden, die war unheimlich groß”, meint Zeitzeuge Gerhard Bürger. Der Aktion vorangegangen war eine Währungsreform, bei der in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands die D-Mark eingeführt wurde. Eine Provokation in den Augen von Diktator Josef Stalin. Berlin sollte nach sowjetischer Auffassung von der westlichen Währungsreform ausgenommen bleiben.

“Straßen, Schienen und Wasserwege sind dicht, aber wir haben die Luftkorridore”, hieß es damals. Drei an der Zahl waren es nach Berlin; von Hamburg, Bückeburg (Hannover) und Frankfurt am Main aus waren sie nach Kriegsende durch ein Abkommen geregelt worden.

Treibende Kraft der Aktion war US-Militärgouverneur Lucius D. Clay, auf dessen Initiative und mit dem OK von US-Präsident Harry S. Truman die Westmächte das Mammutprojekt starteten. 2,2 Millionen Menschen lebten in den westlichen Sektoren der Stadt. Hinzu kamen etwa 9.000 amerikanische, 7.600 britische und 6.100 französische Soldaten mit ihren Angehörigen.

“Wir hatten keinen Zweifel, dass die Amerikaner – wenn sie sich das vornehmen – das auch schaffen. Wir hatten allerdings auch keine Vorstellung von der Größenordnung”, erinnert sich Bürger. Der Minimalbedarf zur Versorgung von Westberlin lag bei bis zu 5.000 Tonnen pro Tag.

Flugzeuge, um dies zu bewältigen, kamen aus Alaska, Honolulu, aus Südostasien oder Texas. Anfangs war die Luftbrücke nur für maximal 45 Tage geplant, doch die logistische Meisterleistung nahm immer größere Ausmaße an. Mehrmals gab es Probleme mit der Flugkoordination, mit zu schwerer Beladung. Zu enger Luftraum und anfänglich zwei Flugbahnen für über 600 Flugbewegungen pro Tag erschwerten das Unterfangen erheblich.

So musste auf den Flughäfen Tempelhof und Gatow jeweils eine zweite Landebahn angelegt werden. Außerdem errichteten rund 19.000 Berliner unter Anleitung amerikanischer und französischer Techniker innerhalb von 85 Tagen einen neuen Flughafen in Tegel. Alle zwei bis drei Minuten landete schließlich eine Maschine auf einem der drei Flughäfen.

Das permanente Gedröhn der Versorgungsflugzeuge machte den Westberlinern Hoffnung, wenngleich es bei einigen auch die düsteren Bilder des erst kurz zurückliegenden Zweiten Weltkriegs hochholen mochte. Im Berliner Volksmund wurden sie dennoch liebevoll “Rosinenbomber” genannt.

Die Aktion war mit horrenden Kosten für amerikanische und britische Steuerzahler verbunden. Doch den Westmächten ging es nicht nur um einen Akt der Nächstenliebe gegenüber ihren ehemaligen Feinden. Es ging um den Aufbau einer freiheitlichen Demokratie. Westberlin kam eine ähnlich symbolträchtige Rolle zu wie heute der Ukraine. Alle Welt schaute hin, und für die Westmächte war klar: Wenn Berlin fällt, ist Westdeutschland als Nächstes dran.

Deutlich wird diese Haltung etwa in einer Rede von Westberlins damaligem Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD) im September 1948 vor der Ruine des Reichstagsgebäudes. Gegenüber Hunderttausenden erklärte er: “Ihr Völker der Welt, Ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt!”

Diplomatische Lösungsversuche blieben lange ohne Ergebnis. Eine Gegenblockade der Westmächte hatte bereits im Sommer 1948 den Güterverkehr aus dem Westen in die Sowjetische Besatzungszone gesperrt. Später wurde sie auf den Handel mit den osteuropäischen Ländern ausgeweitet. Die Blockade wurde für die Sowjetunion schlichtweg zu teuer, und die Westmächte hatten hinreichend demonstriert, eine sowjetische Annexion nicht zuzulassen. Am 4. Mai 1949 lenkte die Sowjet-Regierung ein, eine Woche später wurden Blockade und Gegenblockade beendet.

Dass im Zuge der Aktion Amerikaner, Engländer und Deutsche Seite an Seite arbeiteten, um das scheinbar Unmögliche möglich zu machen, ist eine Erfahrung, die das transatlantische Verhältnis nachhaltig geprägt hat. Am Ende wurden mehr als zwei Millionen Tonnen an Gütern nach Berlin transportiert, darunter mehr als zehn Millionen Lebensmittelpakete. Die mehr als 277.000 Flüge stellten das Überleben der Bewohner sicher. “Da ist man ein Leben lang dankbar für. Sollte man sein”, so Anita Stapel im “Spiegel”-Interview. “Und auch die Tatsache: Da sind irgendwo auf der Welt Menschen, die ihren ehemaligen Feinden was geben.”