Dichter einer verlorenen Generation

„Draußen vor der Tür“ war Wolfgang Borcherts bekanntestes Stück. Doch der Dichter erlebte nur das Radio-Hörspiel – er starb einen Tag vor der Uraufführung der Bühnenfassung, mit 26 Jahren.

Wolfgang Borchert im Jahr 1940
Wolfgang Borchert im Jahr 1940Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky / Wikimedia Commons

Hamburg. Innerhalb von zwei Jahren schuf Wolfgang Borchert sein Lebenswerk. Dutzende von Kurzgeschichten und Gedichte entstanden direkt nach dem Zweiten Weltkrieg – er schrieb sie halb aufrecht sitzend im Krankenbett. Sein Stil prägte eine Generation von Nachkriegs-Schriftstellern Am bekanntesten wurde sein Drama „Draußen vor der Tür“: Ein Kriegsheimkehrer muss ernüchtert feststellen, dass es für ihn keinen Platz in der Nachkriegsgesellschaft gibt und fragt vergeblich nach Schuld und Sinn.

Borcherts Texte, schrieb Heinrich Böll, hätten das ausgedrückt, was die Toten des Krieges nicht mehr sagen konnten. Vor 100 Jahren, am 20. Mai 1921, wurde Wolfgang Borchert in Hamburg geboren.

Begeistert vom Theater

Der Vater war Volksschullehrer, die Mutter schrieb plattdeutsche Geschichten für Heimatzeitschriften. Borcherts Leistungen in der Schule waren mittelmäßig, er liebte das Komödiantische und muckte auf gegen kleinbürgerliches Spießertum. Begeistert erlebte er im Thalia-Theater Gustav Gründgens. Auf Wunsch des Vaters begann er im Frühjahr 1939 eine Buchhändlerlehre, doch heimlich nahm er Schauspielunterricht.

Im April 1940 wurde Borchert zum ersten Mal von der Gestapo verhaftet. Man unterstellte ihm homosexuelle Neigungen zu einem gewissen „Rieke“, doch er hatte einem Freund nur von seiner Liebe zu dem Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926) geschrieben – ein Lesefehler der Gestapo.

Hass auf den Drill

Anfang 1941 fand Borchert eine Anstellung beim Tourneetheater „Landesbühne Osthannover“ in Lüneburg, doch schon im Sommer wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Bei den Panzergrenadieren begann sein Alptraum, von dem er sich nie wieder erholte. Er hasste den Drill und den Kasernenhof-Ton. „Die brutal aufgezwungene Welt des Zwanges tötet alles Schöne, alle Kunst in mir“, schrieb er nach Hause: „Es ist kaum zu ertragen.“

An die Ostfront verlegt

Borchert wurde im Winter 1941 an die Ostfront verlegt und erlebte in Russland das Grauen des Krieges. Kurzgeschichten wie „Der viele, viele Schnee“, „Jesus macht nicht mehr mit“ oder „An diesem Dienstag“ erzählen davon. Er zog sich Erfrierungen zu und verlor durch eine Schussverletzung einen Finger der linken Hand. Man warf ihm Selbstverstümmelung vor, danach auch seine kritischen Äußerungen. Nach langen Monaten Haft wurde die Todesstrafe in „Frontbewährung“ umgewandelt.

Neue Erfrierungen und Anfälle von Gelbsucht folgten. Anfang 1943 lag Borchert im Seuchenlazarett von Smolensk, im Herbst gewährte man ihm Heimaturlaub. Hamburg erkannte er kaum wieder: Im Sommer 1943 hatten Bombenangriffe und ein Feuersturm weite Teile des Stadtgebietes völlig zerstört. Dennoch suchte er erneut den Kontakt zu Künstlerfreunden, trat als Kabarettist im „Bronzekeller“ auf.

Einöde und zerbröselte Steine

Die Folgen der verheerenden Luftangriffe machte er später zu einer Geschichte über einen fiktiven kanadischen Fliegerfeldwebel namens Bill Brook. Der kommt nach dem Krieg in die Stadt und findet im zerschossenen Hauptbahnhof das Emailleschild eines Zugzielanzeigers mit der Aufschrift „Billbrook“. Diesen Stadtteil, der so heißt wie er, will der Kanadier unbedingt sehen. Zu Fuß macht er sich auf den Weg und findet – nichts. Einöde, zerbröselte Steine, Schutthaufen, krumme Laternenpfähle: „Drei Stunden links. Drei Stunden rechts. Dahin und rückwärts auch: Alles kaputt.“

Plakat zur Uraufführung von "Draußen vor der Tür" in Hamburg im November 1947
Plakat zur Uraufführung von "Draußen vor der Tür" in Hamburg im November 1947Wikimedia Commons

Wegen eines Goebbels-Witzes wurde Borchert Ende 1943 denunziert und erneut verhaftet. Das Jahr 1944 verbrachte er weitgehend in Berliner Gestapo-Gefängnissen. Im Frühjahr 1945 war der Krieg dann für ihn zu Ende. Bei Frankfurt am Main geriet er in französische Gefangenschaft, konnte aber fliehen. Zu Fuß schleppte er sich 600 Kilometer weit in Richtung Norden.

Am 10. Mai kam er in Hamburg an, als schwer kranker und restlos erschöpfter Mann. Doch mit unbändigem Lebenswillen engagierte er sich wieder in der Kabarett- und Theaterszene, war im November Mitbegründer der „Kleinen Komödie“ und danach Regieassistent bei „Nathan der Weise“ im Schauspielhaus. Die Premiere verpasste er im Krankenbett.

Zur Kur in die Schweiz

Borchert litt an einer übermäßig geschwollenen Leber und ständigem Fieber. Die Ärzte gaben ihm allenfalls noch ein Jahr. Im Frühjahr 1946 kam er für Monate ins Hamburger Elisabeth-Krankenhaus und begann, unermüdlich zu schreiben: Erzählungen wie „Die Hundeblume“, seine Russland-Erinnerungen und die Gedichtsammlung „Laterne, Nacht und Sterne“. In nur acht Tagen entstand „Draußen vor der Tür“, das Drama des Kriegsheimkehrers Beckmann. Der Nordwestdeutsche Rundfunk strahlte es im Februar 1947 als Hörspiel aus.

Freunde schickten ihn zur Kur in die Schweiz. Dort, im St. Claraspital, entstand im Herbst 1947 sein berühmtes Antikriegsmanifest „Dann gibt es nur eins: Sag nein!“. Am 20. November, einen Tag vor der Bühnen-Premiere von „Draußen vor der Tür“ in den Hamburger Kammerspielen, starb Wolfgang Borchert in Basel. Er wurde nur 26 Jahre alt. Seine Urne wurde nach Hamburg überführt und im Februar 1948 auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.

Noch heute Schullektüre

Borchert-Texte wie „Nachts schlafen die Ratten doch“, „Die Kirschen“ und „Das Brot“ sind noch heute Schullektüre. Manche Kritiker mokierten sich über seinen plakativen, kurzatmigen Stil. Heinrich Böll allerdings lobte die Kurzgeschichten als „Musterbeispiele ihrer Gattung“, weil sie nicht moralisierend erklärten, sondern erzählten, indem sie darstellten. Und Biograf Peter Rühmkorf nannte Borchert „einen ganz ausgezeichneten, stilprägenden und feinnervigen Schriftsteller“. (epd)