Diakonie will Armut bekämpfen

Beim Empfang des evangelischen Wohlfahrtsverbandes in Düsseldorf wurde mehr staatliche Unterstützung gefordert. Journalist Heribert Prantl lobte ehrenamtliches Engagement

MEIKE BOESCHEMEYER

DÜSSELDORF – Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, bezeichnete es in einem Festgottesdienst zur Gründung der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) in Düsseldorf als Auftrag und Sendung des evangelischen Wohlfahrtsverbands, keinen einzigen Menschen verloren zu geben: „Diakonie soll verkörpern, vertreten und verteidigen, dass jeder und jede Einzelne unentbehrlich ist für das Ganze.“ Die Würde des Einzelnen müsse in der Gesellschaft verteidigt werden gegen „allerlei Grenzzieher, Torwächter und Zaunkönige“.

Mehr Unterstützung für sozial Schwache

Sozial Schwache in Deutschland benötigen nach Einschätzung des Vorstands der Diakonie RWL, Christian Heine-Göttelmann, mehr staatliche Unterstützung. „Wir brauchen dringend eine stärkere öffentliche Versorgung von Benachteiligten“, sagte Heine-Göttelmann auf dem anschließenden Empfang in Düsseldorf. Langzeitarbeitslose, Wohnungslose, Suchtkranke, Alleinerziehende und Menschen mit „prekärem Einkommen“ werde derzeit die Teilhabe an der Gesellschaft erschwert.
Nach Ansicht Heine-Göttelmanns reichen Nachbesserungen an den Hartz-IV-Regelungen, wie sie SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fordert, nicht aus, um die soziale Lage zu verbessern. Die Versorgungssysteme müssen insgesamt besser ausgestattet werden, betonte der Theologe: „Reformen brauchen wir an vielen Stellen.“ Die Diakonie RWL werde deshalb als größter diakonischer Landesverband in Deutschland im Wahljahr 2017 verstärkt die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung zum Thema machen, kündigte der Diakonie-Vorstand an. Er beobachtet ebenfalls „mit großer Sorge, dass sich in Deutschland eine neue rechte Bewegung bildet, die Fremdenfeindlichkeit mit antidemokratischen Ressentiments verbindet und auch in der Mitte der Gesellschaft Anklang findet“.
Rechtspopulismus entstehe zum Teil auch aus dem Gefühl der Benachteiligung heraus. Die Diakonie wolle dieser Tendenz unter anderem durch politische Aufklärung und Schulungen entgegentreten. Der AfD werde die Diakonie RWL „keine Plattform der Diskussion mehr bieten“, weil es der Partei nicht um den inhaltlichen Austausch von Meinungen gehe, sondern um Propaganda.
Der Journalist Heribert Prantl lobte die Deutschen in einem Impulsvortrag für ihr ehrenamtliches Engagement. „Jeder Zehnte engagiert sich freiwillig für Flüchtlinge“, sagte das Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“. „Das ist außergewöhnlich.“
Freiwillige Helfer seien auch auf anderen Feldern der sozialen Arbeit unverzichtbar, weil den Angestellten in der Wohlfahrtsbranche oft die Zeit für ihre Klienten fehle, sagte Prantl. „Der Sozialstaat braucht die privaten Kümmerer.“ Das ehrenamtliche Engagement müsse jedoch professionell begleitet werden.
Der Journalist sieht große Chancen in der Alterung der Gesellschaft. Die Tatsache, dass die Menschen nach ihrer Verrentung noch 20 Jahre lebten, könne „die Gesellschaft grundlegend verändern und sie menschlicher machen“. In einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ könnten sich die jüngeren Rentner um die ganz Alten kümmern. Er könne sich vorstellen, dass im ganzen Land Nachbarschaftsvereine und Wohnpflegegruppen gegründet werden, in denen sich eine neue Kultur der Hilfe bewährt. Diese Kultur werde die Gesellschaft bereichern.

Zwei Standorte werden bis 2019 aufgegeben

Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe vertritt 4900 Sozialeinrichtungen mit etwa 135 000 Beschäftigten und 200 000 Ehrenamtlichen. Auf einem Empfang feierte die Diakonie RWL ihre Entstehung im vergangenen Jahr durch die Verschmelzung der Diakonischen Werke von rheinischer, westfälischer und lippischer evangelischer Kirche. Sitz des Verbands ist Düsseldorf. Die weiteren Standorte Münster und Köln werden bis 2019 aufgegeben. Betroffen sind 130 Mitarbeiter, die aber ihre Stellen behalten sollen. epd