Deutsches Rotes Kreuz fordert schnelle Rettungsdienst-Reform

Der Rettungsdienst in Deutschland muss dringend reformiert werden. Rot-Kreuz-Präsidentin Gerda Hasselfeldt fordert eine umfassende Digitalisierung und eine Stärkung der Leitstellen.

Wie kann man sicherstellen, dass Patienten in Deutschland im Notfall so schnell wie möglich zum richtigen Krankenhaus gebracht werden? Die Bundesregierung plant eine Reform des Rettungsdienstes, die auch in der alternden Gesellschaft funktionieren soll. Was sich das Deutsche Rote Kreuz davon erhofft, erläutert Präsidentin Gerda Hasselfeldt im Interview der katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

KNA: Frau Hasselfeldt, 2023 wurden in Deutschland nach Angaben der Telekom mehr als 30 Millionen Notrufe über die Nummer 112 abgesetzt. Warum ist der Rettungsdienst so reformbedürftig?

Hasselfeldt: Es gibt einen ganzen Strauß an Gründen. Ein zentraler ist: Allein die Zahl der Rettungseinsätze ist zwischen 2001 und 2022 von 8,5 Millionen auf 14 Millionen angestiegen. Und in der alternden Gesellschaft könnten es noch deutlich mehr werden. Aufgrund dieser Entwicklung bedarf es gezielter Aufklärung und Steuerung.

KNA: Darauf kann man eigentlich nur mit mehr Personal reagieren, oder?

Hasselfeldt: Das ist eine wichtige Stellschraube, aber nicht die einzige. Richtig ist, dass die Zahl der Mitarbeitenden im Rettungsdienst stark gestiegen ist; übrigens ebenso wie die Belastung für jeden Einzelnen. Insofern ist der weitere Ausbau von Ausbildungsplätzen von großer Bedeutung, zumal das Interesse an diesem Beruf hoch ist. Hier ist auch die Politik gefragt.

KNA: Muss man nicht auch die Arbeitsteilung zwischen Notärzten, Notfallsanitätern und anderen Kräften überdenken?

Hasselfeldt: Wichtig ist, die Kompetenzen der Notfallsanitäter vollständig zu nutzen. So könnten sie mehr Einsätze auch ohne Notarzt bewältigen. Es werden derzeit auch Modelle getestet, nach denen per Video zugeschaltete Notärzte, sogenannte Tele-Notärzte, die Rettungskräfte unterstützen. Da muss der Notarzt, abhängig vom jeweiligen Notfall, nicht mehr zwingend raus zum Einsatzort. Das würde die Rettungsdienste insgesamt entlasten.

KNA: Als Grund für die Überlastung wird immer wieder der Missbrauch genannt. Sehen Sie das auch so?

Hasselfeldt: Der Rettungsdienst ist nicht immer die richtige Antwort auf einen Notruf. Viele Anrufe unter der Notrufnummer 112 sind eigentlich keine Notrufe. Die Menschen wählen die Nummer aus Unkenntnis oder, gerade auf dem Land, da sie sich kaum anders zu helfen wissen, weil andere Strukturen der Gesundheitsversorgung nicht in ausreichendem Maße verfügbar sind.

KNA: Was wäre denn wichtig?

Hasselfeldt: Eine wichtige Stellschraube ist, dass sich aktuell der Patient in der Regel ins System einbringt, er definiert für sich den Notfall. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Menschen in medizinischen Notfällen in die richtigen Kanäle lotsen – das kann die Notfallambulanz eines Krankenhauses, aber auch die Notfallpraxis des niedergelassenen Arztes oder eine schnelle Behandlung in den vier Wänden des Patienten sein. Deshalb wäre es so wichtig, die geplante Krankenhausreform nicht isoliert zu betrachten. Sie muss mit der Reform der Notfallversorgung und der Reform des Rettungsdienstes zusammengedacht werden. Es ist dringend notwendig, die Säulen der Notfallversorgung besser zu verzahnen – wenn Sie etwa bedenken, dass die Krankenhauslandschaft künftig so aufgestellt sein muss, dass Rettungsfahrten nicht zu lange dauern. Auch wenn die Kliniken sich stärker spezialisieren und Leistungen bündeln wollen oder gar schließen müssen, muss die Notfallrettung leistungsfähig bleiben – auch in ländlichen Regionen.

KNA: Geplant ist ja auch, die Notfallnummer 112 und die Notfallnummer für den kassenärztlichen Notdienst 116117 enger zu verzahnen…

Hasselfeldt: …Ziel muss es sein, dass sämtliche Anrufe bei einer zentralen Leitstelle eingehen, im Sinne einer „Gesundheitsleitstelle“. Diese kann auf Basis digitaler Ersteinschätzungssysteme die für den Patienten bestgeeignete Hilfe ermitteln und die Patienten in die jeweilige Versorgungsebene steuern. Dafür müssen die Leitstellen gestärkt werden -, personell und technisch. Die Mitarbeitenden in den Gesundheitsleitstellen müssen dann Zugriff auf alle Strukturen des Gesundheitswesens haben, ambulant und stationär. Übrigens auch auf die Strukturen des Zivil- und Katastrophenschutzes, um bei einem Notfall mit einer Vielzahl von Verletzten oder Erkrankten weitere Kräfte zum Einsatz bringen zu können.

KNA: Wenn Sie auf die technische Ausrüstung verweisen, meinen Sie vermutlich eine digitale Ausstattung?

Hasselfeldt: Neben den Leitstellen ist eine digitale und kompatible Ausrüstung auch der Rettungsdienste sowie der anderen Elemente der Notfallversorgung zentral: Leitstellen und Rettungswagen müssen zum Beispiel in Echtzeit Informationen über freie Betten in den Kliniken bekommen. Umgekehrt benötigen die Krankenhäuser Informationen über den Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten. Für beides braucht es bundesweit einheitliche Vorgaben und die Pflicht zur digitalen Vernetzung.

KNA: Immer wieder hört man, dass vor allem ältere Menschen völlig unnötig von Rettungsdiensten ins Krankenhaus gebracht werden – weil die medizinische Versorgung im Heim nicht ausreichend war oder weil sie in ihren eigenen vier Wänden wegen Flüssigkeitsmangel kollabiert sind. Braucht es nicht auch hier ein Umdenken, um das Rettungswesen zu entlasten?

Hasselfeldt: Definitiv. Wir brauchen mehr Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung — etwa Vorbeugung, Gesundheitserziehung in den Schulen oder das Erneuern von Erste-Hilfe-Kursen und Laienreanimation. Wir brauchen auch, was wir als „Vorbeugenden Rettungsdienst“ bezeichnen: So könnten beispielsweise Gemeindenotfallsanitäter im Zusammenspiel mit Pflegediensten und dem Einsatz von Telemedizin akuten Notfällen vorbeugend entgegenwirken.