Es war ein riskanter Schritt der polnischen Bischöfe. Ihre Versöhnungsbitte an die deutschen Amtsbrüder löste 1965 bei ihren Landsleuten Protest aus. Jetzt feiern Bischöfe beider Länder einen Meilenstein der Versöhnung.
Es war eine Sternstunde der katholischen Kirche: Am Dienstag vor 60 Jahren, am 18. November 1965, baten die polnischen und die deutschen Bischöfe einander um Vergebung für das Leid des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung. Mitten im Kalten Krieg und zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils stellte der Briefwechsel die Signale auf Versöhnung.
Den 60. Jahrestag der Versöhnungsgeste wollen die Bischöfe beider Länder jetzt feiern. Am 18. November treffen sie sich in Breslau (Wrocław) und wollen zu diesem Anlass auch eine gemeinsame Erklärung veröffentlichen.
Nach den Verbrechen der Deutschen in Polen grenzte der Briefwechsel an ein Wunder. Erste Kontakte zwischen Katholiken beider Länder fanden Mitte der 1950er Jahre statt. Vor allem Laien gingen aufeinander zu: etwa mit Sühnewallfahrten der deutschen Pax-Christi-Sektion nach Auschwitz oder durch Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), die Kontakte mit Intellektuellen in Polen pflegten. 1973 gründeten deutsche Katholiken das Maximilian-Kolbe-Werk, das überlebenden NS-Opfern in Polen hilft.
Der Briefwechsel von 1965 bedeutete einen wichtigen Schritt nach vorn: Während des Konzils luden die polnischen Bischöfe ihre deutschen Amtsbrüder zur 1966 anstehenden 1.000-Jahr-Feier der Christianisierung Polens ein. Ihr am 18. November 1965 veröffentlichtes Schreiben endete mit den Worten: “In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin (…), gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.” Zwei Wochen später antworteten die deutschen Bischöfe: “Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volk angetan worden. So bitten auch wir zu vergessen, ja wir bitten zu verzeihen.”
Allerdings blieben die Spielräume begrenzt: Die polnischen Bischöfe waren enttäuscht, dass ihre Amtsbrüder die Anerkennung der polnischen Westgrenze ausklammerten – anders als die Evangelische Kirche Deutschlands in ihrer ebenfalls im Herbst 1965 erschienenen Ost-Denkschrift. Die in Polen regierenden Kommunisten reagierten mit antikirchlichen Maßnahmen. Auch die deutschen Bischöfe bekamen heftigen Gegenwind, etwa von den Heimatvertriebenen.
Für die seit 1969 regierende sozial-liberale Koalition unter Kanzler Willy Brandt (SPD) bedeutete das Engagement der Kirchen Rückenwind. Brandt selber formulierte es so: “Das Gespräch der Kirchen… war dem Dialog der Politiker voraus.” Die Zugeständnisse der Koalition gegenüber Polen führten dann umgekehrt zu einer Bereinigung auf kirchlichem Gebiet. 1972 ordnete der Vatikan die Kirchenstrukturen in den früheren deutschen Ostgebieten neu und gründete polnische Diözesen – unter heftigem Protest der deutschen Katholiken.
Trotz solcher Irritationen ließen die Katholiken beider Länder den Faden nicht mehr abreißen. Als Polens Regierung im Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängte, riefen die deutschen Bischöfe zu Kollekten und Paketspenden auf. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks richteten die beiden Bischofskonferenzen 1995 eine Kontaktgruppe ein, die sich regelmäßig trifft. Das 1993 gegründete Osteuropa-Hilfswerk der deutschen Katholiken Renovabis unterstützt Projekte im Nachbarland.
Dass die Schatten des Weltkriegs dennoch weit reichten, zeigte sich 2009, als eine gemeinsame Erklärung zum Jahrestag des Kriegsausbruchs nur nach langem Ringen zustande kam. Wichtigster Konflikt damals: die Bewertung der Vertreibungen der Deutschen.
Mittlerweile gibt es andere Themen: Die Beziehungen zwischen beiden Ländern unterliegen immer wieder politischen Schwankungen. Polen fordert immer wieder Entschädigungen für die im Zweiten Weltkrieg entstandenen Schäden. Kirchenpolitisch gab es zuletzt dicke Luft zwischen beiden Bischofskonferenzen. Polnische Bischöfe haben mehrfach Unverständnis über zentrale Reformideen der deutschen Katholiken geäußert – unter anderem schrieb der damalige Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, 2023 einen Beschwerdebrief an Papst Franziskus, ohne die deutschen Amtsbrüder zu informieren.
Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, war empört: Statt für Dialog habe sich Gadecki dafür entschieden, gegenüber dem Papst “falsche” Behauptungen über den deutschen Reformprozess aufzustellen, so der Bischof von Limburg in einer öffentlichen Reaktion.
Am Ende seines Schreibens erinnerte Bätzing allerdings an den versöhnlichen Briefwechsel von 1965: “Auch jetzt, in dieser kritischen Situation, in der die Gefahr gegenseitiger Entfremdung und Verbitterung besteht, rufe ich dazu auf, diesen Dialog fortzusetzen.”