Der Papst nimmt Europa in die Pflicht

Regnerische 15 Grad herrschten am Donnerstag in Luxemburg: Dabei war der Papst ins Herz Europas gekommen. Doch der zunächst etwas matt wirkende Pontifex nutzte die Chance für kraftvolle Reden.

Schreckmoment am Donnerstagfrüh im “Papstflieger” nach Luxemburg: Anders als üblich verzichtete Franziskus auf das persönliche Händeschütteln mit den mitreisenden Journalisten. Er fühle sich gerade nicht in der Lage zu dieser “Wegstrecke”, sagte er mit Blick auf die enge, arg schwankende Flugzeugkabine.

Schon am Montag hatte die Mitteilung, der Papst lasse wegen einer “leichten Grippe” für einen Tag die Amtsgeschäfte ruhen, Zweifel an der bevorstehenden Reise aufkommen lassen. Doch im kleinen Großherzogtum gewann der 87-Jährige zusehends an Kraft.

Nach den protokollarischen Ehren am Flughafen Findel, wo er vom Monarchenpaar Henri und Maria Teresa und von Premierminister Luc Frieden empfangen wurde, ging es zum Palast des Herrschers. Beim Foto mit der Großherzoglichen Großfamilie sah man den Papst dann glücklich lächeln: Umgeben vom Herrscherpaar, dessen fünf Kindern und acht Enkeln schien er ganz in seinem Element. Im Oktober will Henri (69) die Amtsgeschäfte nach 24 Jahren an seinen ältesten Sohn Guillaume abgeben. Der Besuch des Papstes auf persönliche Einladung von Henri mag auch eine Belohnung für die lange Amtszeit des katholischen Regenten sein.

Aber es war dann doch die politische Weltlage, die Franziskus in den Fokus rückte. Im “Cercle Cite”, fast in Rufweite von EU-Institutionen wie dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), erinnerte er an die Werte, für die der europäische Kontinent stehe. Vor Vertretern aus Politik, Kirche und Gesellschaft, darunter europäischen Größen wie den Ex-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und Jacques Santer sowie der Präsidentin der Europäischen Investitionsbank, Nadia Calvino, kritisierte er “Gräben und Feindschaften” in Europa, “die zu offenen Feindseligkeiten mit ihren zerstörerischen und tödlichen Folgen führen”.

Luxemburg, das selbst mehrfach Opfer von Krieg, Besatzung und Zerstörung war, könne “allen zeigen, welche Vorteile der Frieden gegenüber den Schrecken des Krieges hat, welche Vorteile die Integration und Förderung von Migranten gegenüber ihrer Ausgrenzung hat, welchen Gewinn die Zusammenarbeit der Nationen darstellt”, sagte er. Lob äußerte Franziskus auch für die Willkommenskultur in der Finanzmetropole, doch appellierte er auch an die Verantwortung der wohlhabenden Bevölkerung für ärmere Länder.

Die Luxemburger zeigten sich in nicht überbordender Zahl auf den großflächig abgesperrten Straßen. Einzelne Abschnitte blieben ganz leer, während an anderen Teilen viele hundert Menschen im Regen ausharrten, um einen Blick auf den Pontifex erhaschen zu können. Das “Bad in der Menge”, das Franziskus vormittags im weißen Kleinwagen nahm, tat dem 87-Jährigen sichtlich gut: Immer wieder musste das Gefährt anhalten, weil der Papst Hände schüttelte oder Kinderköpfe streichelte. Später war er im glasbedachten “Papamobil” unterwegs, so dass er von mehr Menschen gesehen werden konnte – ohne selbst nass zu werden.

Schon morgens erklang festliches Läuten von der Kathedrale des katholisch grundierten, aber seit etlichen Jahren stark säkularisierten Landes. Im Zuge der Trennung von Staat und Kirche verzichtete diese auf etliche Privilegien, erwarb aber auch größere Unabhängigkeit. Dass das katholische Kirchenoberhaupt im Großherzogtum dennoch willkommen ist, betonten Julie und George von der – nicht katholischen – Pfadfinderorganisation “fnel Luxemburg”: “Der Papst steht ja für Werte, die wir auch verkörpern: zusammenarbeiten über Grenzen hinweg, den Mitmenschen Beachtung und Hilfe schenken”, umrissen die zwei Mittzwanziger einen konsensfähigen Humanismus.

Nachmittags in der Kathedrale bei der Begegnung mit den Katholiken stand neben Singen und Beten und einer weiteren Papstansprache die Vorstellung von Projekten für sozial Benachteiligte und Geflüchtete auf dem Programm. Auch der Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Hollerich sollte dort reden. Er hatte maßgeblich zum Zustandekommen des Papstbesuchs beigetragen. Der Kardinal hat bei der am Dienstag beginnenden finalen Runde der Weltsynode in Rom, einem Lieblingsprojekt des Papstes, eine zentrale Rolle. Am Abend stand für Franziskus die Weiterreise nach Belgien an, wo das Programm am Freitagmorgen weitergeht.