Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Muslime über sein Amt

Abdassamad El Yazidi ist vor wenigen Monaten auf Aiman Mazyek gefolgt, der lange so etwas wie das mediale Gesicht des organisierten Islams in Deutschland war. Antimuslimische Ressentiments sieht er auf dem Vormarsch.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) vertritt rund 300 Moscheegemeinden. 1997 startete der Islamverband die Initiative für den jährlichen “Tag der offenen Moschee”, der am Donnerstag wieder bundesweit stattfindet. Seit Juni steht Abdassamad El Yazidi an der Spitze des ZMD. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der 1975 in Hessen geborene Deutsch-Marokkaner über sein neues Amt, den Umgang mit Islamisten und Antisemitismus.

KNA: Den Tag der offenen Moschee erleben Sie erstmals als Vorsitzender Ihres Verbands. Was haben Sie sich für ihr neues Amt vorgenommen?

El Yazidi: Ich möchte den Kurs meiner Vorgänger fortsetzen: Nämlich deutlich machen, dass die Muslime ein fester und gleichberechtigter Teil der deutschen Gesellschaft sind und der Islam in Deutschland vielfältig ist. Die meisten Muslime hier definieren sich nicht als Zugewanderte, sondern als deutsche Bürgerinnen und Bürger. Viele engagieren sich für die Zivilgesellschaft. Das allgemeine Bewusstsein dafür möchte ich stärken.

KNA: Das Klima ist rauer geworden. Die AfD feiert Wahlerfolge, muslimische Einwanderung wird kritischer gesehen als vor einigen Jahren. Nicht zuletzt durch Mordanschläge im Namen des Islams wie in Mannheim und Solingen.

El Yazidi: Die Vorurteile sind gewachsen, ja. Leider löst der Islam bei vielen negative Assoziationen aus, gerade nach solchen Taten. Rassistische und islamfeindliche Äußerungen werden aus meiner Sicht mehr akzeptiert, seit rechtsextreme Kräfte in den Parlamenten sitzen.

KNA: Sehen Sie bei den Islamverbänden nicht auch eine Mitschuld für das gewachsene Misstrauen? Eine Reihe davon – auch Teile des ZMD – werden dem politischen Islam zugerechnet. Nach Attentaten gibt es immer wieder Kritik, dass die Verbände nicht zu Demonstrationen gegen Gewalt im Namen der Religion aufrufen.

El Yazidi: Bei den Trauerveranstaltungen in Solingen waren auch viele Muslime dabei. Und wir als Verband haben die Tat sofort danach in einer Erklärung verurteilt. Das reichte manchen nicht, weil sie insgeheim die Muslime für solch schreckliche Taten in Geiselhaft nehmen wollen. Kampfbegriffe wie Islamismus oder politischer Islam werden oft genutzt um Muslime gesellschaftlich zu diskreditieren.

KNA: Den Satz “Das hat nichts mit dem Islam zu tun!” bezeichnen Islamkritiker oft als Totschlagargument, um Debatten über gewaltaffine Stellen im Koran abzuwürgen. Warum fördern die Islamverbände diese Reformdebatte nicht?

El Yazidi: Ich kann nur für den ZMD sprechen und wir grenzen uns klar von allen ab, die den Koran für radikale und antidemokratische Botschaften missbrauchen wollen. Nehmen Sie die Gruppen, die im Mai in Hamburg das Kalifat gefordert haben: Diese Leute haben in unseren Moscheen keinen Zugang. Dafür werden wir von denen auf TikTok als “Staatsmuslime” bezeichnet. Wir zeigen durch Dialogarbeit und bürgerschaftliches Engagement, dass wir Teil der pluralistischen Gesellschaft sind. Muslimische Gelehrte in Deutschland und international leisten hervorragende Arbeit, um eine Fehldeutung von koranischen Versen durch Bildung und Präventionsarbeit zu verhindern. Auch wenn die Islamkritiker-Industrie in Deutschland das vielleicht anders sieht.

KNA: Unter Ihrem Vorgänger Aiman Mazyek sorgte der ZMD für Schlagzeilen wegen problematischer Mitgliedsorganisationen: Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) wird den islamistischen Muslimbrüdern zugerechnet; die türkische ATIB entstammt der Bewegung der rechtsextremen “Grauen Wölfe” und das vom Iran gesteuerte schiitische “Islamische Zentrum Hamburg” (IZH) wurde im Juli vom Bundesinnenministerium verboten. Wie hat der ZMD das Verhältnis zu diesen Gruppierungen geklärt?

El Yazidi: Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist die muslimische Religionsgemeinschaft mit der höchsten Heterogenität in seiner Mitgliederstruktur. Das spiegelt die Vielfalt des Islams in unserem Land wieder und ist eine große Bereicherung, stellt uns aber oft auch vor Herausforderungen. Mit der DMG, ehemals “Islamische Gemeinschaft in Deutschland”, haben wir uns verbandsintern schon vor Jahren auseinandergesetzt. Schon 2019 hat unsere Vertreterversammlung ihre Mitgliedschaft eingefroren und 2022 mit großer Mehrheit ganz beendet.

Die Mitgliedschaft des IZH haben wir Ende 2023 ausgesetzt. Das Zentrum wehrt sich derzeit gegen das Verbot und die Ergebnisse gilt es abzuwarten. In jedem Fall wollen wir im ZMD auch für Schiiten offen bleiben und die Vielfalt des Islams abbilden.

Die ATIB ist weiterhin ordentliches Mitglied. Sie hat sich – aus unserer Sicht glaubwürdig – von antisemitischen und rechtsextremen Vorwürfen distanziert und klagt gegen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht. ATIB-Moscheen und der ATIB-Vorstand machen engagierte Dialogarbeit. Sie sind bereit, sich den Vorwürfen zu stellen und auch unabhängige Gutachten zu Ihrer Arbeit und Struktur zuzulassen.

KNA: Die deutsche Politik kritisiert, dass viele Moscheevereine aus dem Ausland beeinflusst werden, durch die Entsendung von Imamen, über Botschaften und Konsulate oder undurchsichtige Finanzströme. Können Sie das nachvollziehen?

El Yazidi: Ich lehne jeden politischen Einfluss ausländischer Regierungen auf die hiesigen Muslime ab, ob aus Ankara, Teheran, den Golfstaaten oder sonstwoher. Als muslimische Religionsgemeinschaft unterstützen wir auch die Ausbildung deutschsprachiger Imame in Deutschland. Deshalb beteiligen wir uns in Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren seit 2019 am Islamkolleg Deutschland in Osnabrück, wo Seelsorger für unsere Moscheegemeinden ausgebildet werden.

Ich bin aber dagegen, gesellschaftlichen Druck auf Muslime auszuüben, ihre kulturellen Wurzeln und jede emotionale Bindung an ihre Herkunftsländer aufzugeben. Das halte ich im Zeitalter der Globalisierung nicht für zeitgemäß. Man kann loyal gegenüber Deutschland sein, ohne seine Wurzeln zu verleugnen. Ebenso halten wir ein transparentes muslimisches Leben in Deutschland für legitim in gleicher Weise wie es Kirchen und auch das Auswärtige Amt tun. Eine Dämonisierung jeglichen Kontakts mit islamischen Ländern ist rassistisch und schadet dort dem ohnehin angeschlagenen Image Deutschlands.

KNA: Am 7. Oktober jährt sich der Terrorangriff der Hamas auf Israel und der Beginn des Gazakriegs. Die Bundesregierung warf damals den Islamverbänden vor, sie positionierten sich nicht genug gegen die Hamas und antisemitische Demonstrationen. Wie stehen Sie als neuer ZMD-Vorsitzender heute zu den Ereignissen?

El Yazidi: Die Vorwürfe der Politik empfand ich als sehr unfair und unbegründet. Der ZMD hat den Hamas-Überfall unmittelbar danach als “Barbarei” verurteilt, aber auch darauf hingewiesen, dass diese Eskalation eine Vorgeschichte hat, für die auch Israel Verantwortung trägt. Das ist ein legitimer Einwand, der jedoch zeitversetzt hätte geäußert werden sollen. Als Muslime solidarisieren wir uns mit den Palästinensern, die in Gaza unschuldig von der israelischen Armee ermordet werden. Aber auch mit den Israelis, die am 7. Oktober unschuldig ermordet wurden.

Antisemitismus auf deutschen Straßen hat damals stattgefunden und ich lehne ihn ab. Der ZMD hat sich nie daran beteiligt oder zu eigenen Demonstrationen aufgerufen. Stattdessen sind wir als Vorstand durch die Landesverbände gezogen und haben zur Besonnenheit aufgerufen. Zum Schutz unserer jüdischen Mitbürger die leider in unserem Land in Angst leben müssen.

KNA: Sind Sie mit den Juden in Deutschland im Dialog?

El Yazidi: Der Dialog mit unseren jüdischen Freunden hat nie aufgehört. Wir nehmen sie ja nicht in Mithaftung für die Verbrechen der Regierung Netanjahu. Aber die Treffen finden zurzeit nicht öffentlich wirksam in den Moscheen statt. Wir haben in unseren Gemeinden teilweise Palästinenser, die haben 30 Familienmitglieder in Gaza verloren – da sind die Emotionen zu stark für öffentliche konstruktive Dialogveranstaltungen.