Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff wird 85

Sein Name ist einer der bekanntesten der Befreiungstheologie. Unter Joseph Ratzinger, der ihn als Studenten förderte, wurde der Professor Boff später gemaßregelt. Mit Papst Franziskus ist er befreundet. Nun wird er 85.

Sein Äußeres ähnele mittlerweile dem von Karl Marx, sagte Leonardo Boff, als er 2016 in Berlin die Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Medaille erhielt. Tatsächlich erinnert der Brasilianer als gut gealterter Sohn italienischer Einwanderer mit dem wallenden weißen Haar und dem Prophetenbart entfernt an den Trierer Philosophen. Am 14. Dezember wird Boff 85 Jahre alt.

Unter ideengeschichtlichem Marxismus-Verdacht stand Boff vor allem in jungen Jahren immer wieder, als er noch der Shooting Star unter den Befreiungstheologen war. Ausgehend von dem Buch „Theologie der Befreiung“ des Peruaners Gustavo Gutierrrez forderten diese vor allem lateinamerikanischen Denker eine revolutionäre Wende der katholischen Kirche: weg von den Allianzen mit der herrschenden Klasse, hin zur Option für die Armen und Ausgestoßenen.

Dabei handelte es sich letztlich um einen Ausläufer der Linkswende von 1968, die bis nach Lateinamerika ausstrahlte. Boff studierte zwischen 1964 und 1970 unter anderem im belgischen Löwen und in München; bis heute ist er ein Kind dieser Zeit. Der langjährige Franziskanerpater versuchte, als Theologe im brasilianischen Petropolis und als Zeitschriftenherausgeber, die Grundlagen der katholischen Dogmatik vom Kopf auf die Füße zu stellen, sie zu „erden“.

Am radikalsten geschah das in dem Buch „Kleine Sakramentenlehre“ – eine Lehre, die nur wenig mit dem zu tun hat, was man vorher unter diesem Begriff verstand. Den Gipfel seiner internationalen Bekanntheit erreichte Boff durch ein Verfahren, das der damalige Präfekt der Römischen Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, 1984 gegen ihn einleitete.

Derselbe Ratzinger, der einst dem jungen Boff bei der Finanzierung seiner Habilitationsschrift unter die Arme gegriffen hatte, stellte nun fest, dass in Boffs Werk „Kirche, Charisma und Macht“ von 1981 dogmatische Wahrheiten geleugnet und die Sakramentenlehre verwässert werde. Zur Strafe musste Boff für ein Jahr bußschweigen – und verkaufte mehr Bücher denn je. Allerdings durfte er auch keine Vorträge mehr halten.

Schon wenige Jahre später veröffentlichte er weitere, teils sehr polemische Artikel gegen die Kirchenhierarchie. Parallel pflegte er Kontakte zu kommunistischen Politikern und Ideologen in Havanna und in Moskau, wo er noch bis kurz vor dem Untergang der Sowjetunion ein gern gesehener Gast war.

1992 verließ Boff den Franziskanerorden, wurde laisiert und nahm eine Ethik-Professur an. Seither lebt er mit der Menschenrechtsaktivistin Marcia Miranda und deren Kindern und Enkeln zusammen. In seinen Schriften hat sich Boff seit dem Sturz des Sozialismus stärker dem Thema Ökologie zugewandt.

Die franziskanischen Grundideen der brüderlichen Nähe zu den Armen und zur gesamten Schöpfung sind aber bis heute Leitgedanken in Boffs Denken. Für die Umweltenzyklika „Laudato si“ (2015) forderte Papst Franziskus auch Material von Boff an und ließ einige Gedanken in den Text einfließen. „Papst Franziskus ist einer von uns“, sagte Boff damals.

Seit 2009 ist Boff im Netzwerk X , früher Twitter, publizistisch aktiv. Dort mischt er sich oft in aktuelle politische Debatten ein. Er kämpfte erfolgreich für die Rückkehr des linken Präsidenten Lula da Silva an die Macht in Brasilien und verteidigt Papst Franziskus gegen konservative Kritiker. In der Debatte um den aktuellen Gaza-Krieg verurteilte er unlängst den Terrorismus der Hamas – und kritisierte zugleich das militärische Vorgehen Israels als Genozid, der nur weiteren Terrorismus als Antwort hervorrufen werde.

Wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag veröffentlichte Boff abermals ein neues Buch. Unter dem Titel „Terra madura“ (Reife Erde) beschäftigt er sich erneut mit der Grundfrage der ökologischen Theologie: Warum zerstören die Menschen die ihnen geschenkte Schöpfung Gottes, und warum maßen sie sie sich an, an die Stelle des Schöpfers zu treten, statt sich mit den anderen Geschöpfen zu solidarisieren?