Der Antisemitismus kam per Post

Eine Ausstellung in einer Synagoge in Celle zeigt Postkarten mit Motiven aus dem Ersten Weltkrieg. Der Antisemitismus wird dort erschreckend effektiv verbreitet.

Auch im Feld, deutet diese Postkarte aus den ersten Kriegszeiten an, können Juden ihren Glauben ausleben
Auch im Feld, deutet diese Postkarte aus den ersten Kriegszeiten an, können Juden ihren Glauben auslebenRepro: Gérard Silvain

Celle. Die Karten stammen vor allem aus Frankreich, Deutschland, Österreich, Polen und Russland und machen sehr anschaulich deutlich, wie sich die Stimmung gegenüber den Juden im Verlaufe des Krieges verändert. Mit seinem Ausbruch im August 1914 dominieren freundliche Darstellungen von Juden. In Frankreich appelliert die traditionell antisemitisch eingestellte katholische Rechte an die „Heilige Union“ aller Franzosen. Auf einer Karte ist zu lesen: „Juden, Atheisten, Protestanten, niemand macht sich mehr lustig.“
Auch in Russland, wo Minderheiten häufig unterdrückt und verfolgt wurden, wird die „Heilige Union“ von Russen, Polen, Letten und Juden beschworen – auf einer Postkarte reichen sich Vertreter der verschiedenen Gruppen die Hände, im Text heißt es: „Vergessen wir die Toten, vereinigen wir uns gegen den gemeinsamen Feind“. Auf einer deutschen Postkarte aus dem Herbst 1914 ist Moses zu sehen, der auf einem Hügel für den Sieg Israels betet, daneben steht: „Wer das sieht und liest, der helfe beten, daß Gott unseren Heeren den Sieg gebe.“

Unausgesprochene Botschaften

In Frankreich und Deutschland werden 1914 Postkarten verschickt, auf denen christliche und jüdische Militärgeistliche gleichrangig nebeneinander stehen – Symbol für die Hoffnung vieler Juden, durch ihren Kriegseinsatz von der übrigen Gesellschaft anerkannt zu werden. Für Frankreich kämpften 36 000 jüdische Soldaten, von denen 6800 starben, auf deutscher Seite zogen 96 000 Juden in den Krieg, 12 000 verloren dabei ihr Leben.
Die Postkarten zeigen auch, dass sich die Hoffnung auf Gleichberechtigung nicht erfüllen. Im Juli 1915 schickt ein deutscher Soldat aus Polen eine Karte nach Hause, darauf abgebildet ein „russisch-polnischer Jude“ mit langem Bart und daneben „eine russisch-polnische Laus“. Die unausgesprochene Botschaft: Läuse und Juden sind Schädlinge, beide gehören ausgerottet. Eine Einstellung, die anscheinend viele deutsche Soldaten nach einem Jahr Krieg teilen, wenn man dem handgeschriebenen Text auf der Karte vertrauen darf: „Die Karte ist gezeichnet von einem Soldaten unserer Kompanie und dann in vielen Exemplaren abgedruckt worden.“

Auch USA betrieben Propaganda

Der Verein der Witwen und Waisen der Gefallenen der österreichisch-ungarischen Armee hat 1915 eine Karte mit einer Zeichnung eines Militärs herausgegeben, die antisemitische Stereotypen gegen Juden zum Besten gibt: Ein buckliger alter Jude mit langer Nase und langen Fingern wird habgierig dargestellt, an seiner Seite eine schöne Frau. Aus demselben Jahr stammt eine Karte aus Kassel, die einen grinsenden Soldaten zeigt, der seine Arme hebt und die Waffe fallen lässt. Darunter der Text: „Nix schießen. Mei‘ Krieg is‘ zu End!“ Der feige Jude, der sich aus dem Staub macht und so seinen Kameraden in den Rücken fällt – ein Postkartenmotiv, das nach Kriegsende als sogenannte Dolchstoßlegende häufig auftaucht.
Der Bund der Deutschen in Niederösterreich hat eine Karte drucken lassen, die ein verletzter Soldat 1916 aus dem Krankenhaus in Wien an seine Angehörigen schickt. Darauf abgebildet eine leicht orientalisch wirkende Menschenmenge mit Gepäck und Schildern mit den Aufschriften „Börse“ und „Presse“, die in Richtung einer vor ihr liegenden Stadt zieht. Unter dem Bild steht: „Homunkulus: Auszug der Juden.“
Auch in den USA wird mit Postkarten antisemitische Propaganda betrieben, auf denen Parolen wie „Die Juden machen sich an der Front aus dem Staub“ verbreitet werden – auch wenn am Ende des Krieges 250 000 amerikanische Juden in Europa im Einsatz waren. „Die Postkarte ist das effektivste Medium zur Verbreitung des Antisemitismus“, ist Silvain angesichts hoher Auflagen überzeugt – alleine im Jahr 1910 wurden in Frankreich 123 Millionen Postkarten gedruckt. Auf deutscher Seite hielten während des Ersten Weltkriegs Fotografen positive Bilder von der Front fest, die dann auch als Motive für in hoher Auflage hergestellte Postkarten dienten – und von den Soldaten als Gruß in die Heimat geschickt wurden.

Unheil deutet sich an

Die Ausstellung deutet auch die unheilvolle Entwicklung nach 1918 an: Opfer der Judenpogrome in der Ukraine sind zu sehen, in Frankreich geißelt eine Karte „den deutschen Juden“ als wahren Sieger des Weltkriegs, in Ungarn versucht eine andere Karte den Hass gegen Juden anzustacheln, indem der Regierung „jüdischer Bolschewismus“ gegen die Landbevölkerung vorgeworfen wird, deren Felder kollektiviert werden. Und es häufen sich die Karten mit Portraits von Nazi-Größen wie Heydrich, Bormann und Hess als Hinweis auf den nahenden Völkermord an den Juden.
Das Fazit des 88-jährigen Silvain: „Der Krieg von 1914 hat alle Bedingungen für den Triumph der Barbarei geschaffen, in dem er das fragile Gleichgewicht des alten Europas zerstörte und die Menschen daran gewöhnte, menschliches Leben zu verachten. Die Postkarten führen uns von den sorglosen frühen Tagen zum Schrecken von morgen.“
Möglich wurde die Ausstellung, die unter anderem auch Karten von jüdischen Festen und Begräbnissen zeigt und die Ausbreitung der zionistischen Idee im Bild festhält, übrigens durch die Zusammenarbeit von Meudon und Celle. Sie sind seit 1951 Partnerstädte – nach dem Zweiten Weltkrieg die erste Partnerschaft zwischen einer französischen und einer deutschen Stadt.