Demokratie-Simulation in Hongkong

Am Sonntag finden in Hongkong Wahlen zu den 18 Distriktvertretungen statt. Als Kandidaten sind nur pro-chinesische „Patrioten“ zugelassen. Den 4,3 Millionen wahlberechtigten Bürger bleibt nur wenig Raum für Protest.

Bei den Distriktwahlen in Hongkong gibt es eigentlich keine Auswahl. Das aus chinaloyalen Abgeordneten bestehende Parlament hat zur „Verbesserung der Regierungsführung“ die Zahl der direkt wählbaren Vertreter von 452 auf 88 reduziert. Der Rest wird von der Regierung und staatlich kontrollierten Komitees ernannt. Die 88 Direktkandidaten mussten sich obendrein einem „Patrioten-Test“ unterziehen. Mit anderen Worten: Die Zahl der demokratisch gesinnten Kandidaten beträgt null.

Offenbar trauen Hongkongs Machthaber und ihre Vorgesetzten in Peking aber selbst diesem strikten Wahlgesetz nicht. So wurden auf Basis des von China 2020 erlassenen Gesetzes über die nationale Sicherheit Aufrufe zum Wahlboykott und die Abgabe leerer Stimmzettel kriminalisiert. Ihre Beamten verdonnerte die Regierung zur „Wahlpflicht“.

Rückblende: 2019 war der Höhepunkt der Demokratiebewegung. Mit Protestaktionen und einer mehrtägigen Besetzung des Flughafens forderten viele Hongkonger Unabhängigkeit von China und die Einführung eines allgemeinen, wirklich demokratischen Wahlrechts. Am 18. August 2019 gingen zwei Millionen Bürger für Demokratie auf die Straße. Hunderte Katholiken, darunter der für seine Kritik an China bekannte frühere Hongkonger Bischof Kardinal Joseph Zen, hatten sich vor der Demo im Victoria Park zu Gebeten versammelt. Ein junger Katholik trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Heiliger Erzengel Michael – unser Verteidiger und Beschützer gegen das Böse“.

Der nächste – und vorerst letzte – Höhepunkt der Demokratiebewegung waren die Distriktwahlen im Dezember 2019. Mit einer nie dagewesenen Wahlbeteiligung von 71 Prozent gewann das demokratische Lager 344 der 452 Sitze. Der Rest ist Geschichte. Ende Juni 2020 übernahm China mit dem Erlass des Gesetzes über die nationale Sicherheit faktisch die Macht in Hongkong. Hunderte Demokratieaktivisten wurden seither verhaftet, Dutzende zivilgesellschaftliche Gruppen aufgelöst, kritische Medien eingestellt und demokratische Rechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit zunehmend unterdrückt.

Mit den Schlussplädoyers geht derzeit der bislang größte Prozess wegen Verstößen gegen das nationale Sicherheitsgesetz seinem Ende entgegen. 47 prominente Demokratieaktivisten wie Joshua Wong, einer der Anführer der Partei Demosisto, müssen sich vor den von Hongkongs Regierungschef John Lee handverlesenen Richtern wegen „Konspiration gegen die Staatsmacht“ verantworten. Das zehnmonatige Verfahren ist für die britische Bürgerrechtsorganisation Hong Kong Watch das „beste Beispiel für die anhaltende Zerstörung der richterlichen Unabhängigkeit in Hongkong durch die Kommunistische Partei Chinas“.

Andere Demokratie-Aktivisten wie Agnes Chow flüchteten ins Exil. Die Mitbegründerin von Demosisto durfte im September nach Zahlung einer Kaution zum Studium nach Kanada ausreisen. Anfang Dezember erklärte Chow auf Instagram, sie habe sich entschlossen, nicht mehr zurückzukehren. „Nach reiflichem Nachdenken über die Lage in Hongkong, meine eigene Sicherheit und meine körperliche und geistige Gesundheit beschloss ich, nicht zurückzugehen. Und ich werde wahrscheinlich für den Rest meines Lebens nicht mehr zurückkehren.“

Zur Ablenkung von dem politischen Prozess und der Repression will die Regierung am Tag vor der Wahl in der ganzen Stadt mit einem bunten Unterhaltungsprogramm gute Laune verbreiten. Denn das Interesse an dem manipulierten Urnengang scheint gering zu sein. Eine Umfrage unter jungen Wählern ergab, dass weniger als die Hälfte zur Abstimmung gehen wollen. Laut einer anderen Umfrage haben 63 Prozent der Bürger kein Interesse an Politik. Mit Androhung eines harten Vorgehens auch gegen „sanften Widerstand“ will Regierungschef Lee offenbar einen stillen Wahlboykott verhindern.