“Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Rückschritt”

Am 1. November tritt das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Es sieht vor, dass Menschen ihr Geschlecht oder ihre Vornamen einmal im Jahr beim Standesamt ändern können. Das Gesetz regelt laut Bundesregierung die Frage der Ausweisdokumente. Ingeborg Kraus ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit 2012 als Psychotherapeutin auch mit Transmenschen. Sie kritisiert das Gesetz.

epd: Frau Kraus, was ändert sich mit dem Selbstbestimmungsgesetz?

Kraus: Das biologische Geschlecht ist durch das Gesetz abgeschafft, da das gefühlte Geschlecht die gleiche Wertigkeit erhält.

Es besagt weiter, dass man Kinder schon frühzeitig entsprechend behandeln soll, wenn beispielsweise ein Mädchen mit vier oder fünf Jahren sagt, es sei ein Junge. Ab 14 Jahren darf jeder Jugendliche mit Zustimmung der Eltern oder des Familiengerichtes selbst entscheiden, zum Standesamt gehen und sich offiziell ein anderes Geschlecht, einen anderen Namen eintragen lassen.

Man braucht keine psychologischen Gutachten, braucht nichts vorzuweisen. Ein erwachsener Mann darf sich nun als Frau identifizieren und muss als Frau behandelt werden, sonst drohen hohe Strafen.

epd: Worin sehen Sie die Gefahr?

Kraus: Dass das Gesetz den Menschen selbst nicht zugutekommt. Die Politik betont ja, damit seien keine medizinischen Interventionen verbunden. Es geht bei dem Gesetz nur um den Geschlechtseintrag, die gefühlte Identität. Aber wir wissen ja, dass wenn ein Junge mit 14 Jahren sagt, er sei ein Mädchen und sich offiziell als Mädchen eintragen, einen Mädchennamen geben lässt, öffnet dies Tür und Tor für medizinische Interventionen.

Man will dann weitergehen. Zuerst mit Pubertätsblockern, mit Hormonen, die dem anderen Geschlecht gelten, und dann mit chirurgischen Interventionen, die in den vergangenen zehn Jahren explodiert sind. Das sind Interventionen, die unwiderruflich sind. Wenn man sich die Brüste abnehmen lässt, sind sie weg.

epd: Muss man sich das wie eine Art Schönheitsoperation vorstellen, plastische Chirurgie?

Kraus: Ich sehe es noch schlimmer. Es führt zu Verstümmelungen gesunder Geschlechtsorgane hinter dem Deckmantel eines vermeintlichen Fortschritts.

epd: Die Zahlen, vor allem junger Mädchen, die sich als „Transmann“ wahrnehmen, sind in den vergangenen 30 Jahren enorm gestiegen. Welche Rolle spielen Schule und Medien?

Kraus: Ich habe gehört, dass man Kindern schon mit acht oder neun Jahren sagt, es könne im falschen Körper sein. Man zeigt Bilder, wie sie in den „richtigen“ Körper finden: Dann nimmst du Tabletten ein, Pubertätsblocker, dann schneidet man dir den Penis ab oder die Brüste und dann bist du „du“ selbst.

Man sagt den Kindern falsche Dinge. Die glauben daran und werden so auf falsche Wege geführt. Das ist Kindesmissbrauch, da kein Kind die weitreichenden Folgen so einer Entscheidung ermessen kann. Das Thema gehört in keinen Schulunterricht.

epd: Die Ärzteschaft ist gespalten, was den Umgang mit Transmenschen angeht. Warum?

Kraus: Es geht um eine genderaffirmative Haltung, die man jetzt jedem Therapeuten und jeder Therapeutin aufdrängt. Sie gilt als Standard, wie man in einer therapeutischen Praxis oder Klinik arbeitet. Genderaffirmativ, das heißt, der Therapeut soll nicht hinterfragen, auch nicht eruieren, wie es möglicherweise dazu kam, dass sich jemand im „falschen Körper“ fühlt. Man soll es bestätigen und der Person verhelfen, das Geschlecht zu wechseln. Das ist aber der ganz falsche Weg. Das haben mittlerweile seriöse Studien aufgewiesen.

epd: Können Sie ein Beispiel nennen?

Kraus: In England gab es die Tavistock-Klinik, die diesen genderaffirmativen Weg gegangen ist. Nachdem viele Beschwerden eingingen, wurde von der Regierung die Kinderärztin, Hillary Cass, beauftragt, eine Studie zur Zufriedenheit der Patienten zu machen und wie vorgegangen wurde.

Der Cass-Report hat festgestellt, dass man gar nicht geschaut hat, mit welcher Vorgeschichte, die Jugendlichen kamen. Viele waren traumatisiert, viele hatten sexuellen Missbrauch erlebt oder hatten Pubertätskrisen. Wenn man nicht interveniert, legt sich bei zwei Drittel der Betroffenen das Gefühl, im falschen Körper zu sein, von allein. Der genderaffirmative Ansatz ist also falsch! Der National Health Service hat die Ambulanz der Klinik inzwischen geschlossen.

epd: Wie geht die Politik in Deutschland mit der Kritik, die es ja auch in anderen Ländern gibt, um?

Kraus: In Deutschland nimmt man diese Kritik überhaupt nicht wahr. Das Gesetz ist ein Rückschritt. Andere Länder haben schon länger ähnliche Gesetze, und es wird jetzt vehement diskutiert, dass sie den Jugendlichen schaden. Das will man hier nicht hören.

epd: Haben Transmenschen psychische Probleme?

Kraus: Das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, kann sehr viele Ursachen haben. Das muss gründlich eruiert und nicht kritiklos bestätigt werden. Die Lösung sind auf jeden Fall nicht Pubertätsblocker, die den Weg zur „Transition“ einleiten und festigen. In zwölf Jahren psychotherapeutischer Arbeit in meiner Praxis waren von 900 Patienten nur vier trans.

Diese Zahl entspricht ungefähr dem Prozentsatz der Transsexuellen in der Bevölkerung, die unter einem Prozent liegt. Entgegen dem Bild, das die Transideologie verbreitet, war keiner von den vier eindeutig trans. Der Wunsch zur Transition hatte etwas mit ihrer Biografie zu tun, die mit einem schmerzhaften Erleben im Zusammenhang mit ihrem Geschlecht verbunden war.

Psychotherapie hilft, diese Zusammenhänge zu verstehen und aufzulösen. Besonders Mädchen, die durch die sozialen Medien mit hypersexualisierten Rollenbildern bombardiert werden, können Unsicherheiten in Bezug auf ihr Geschlecht entwickeln. Die Transideologie vermittelt klischeehafte Bilder von Frauen und Männern. Wenn man diesen nicht entspricht, wird einem nahegelegt, im falschen Körper zu sein. Das ist kein Fortschritt, es zementiert alte, stereotype Geschlechterrollen. Es ist reaktionär und ein gesellschaftlicher Rückschritt. (2433/29.10.2024)