Das Projekt “Mama Samia”: Tansania im Dauerwahlkampfmodus

Die „Mutter der Nation“ ist überall: Plakate von Samia Suluhu Hassan säumen die Straßen und Plätze. Quer durchs Land wirbt die tansanische Präsidentin für sich und ihre Errungenschaften. „Sie schützt die Mädchen“ steht da, oder: „Sie stärkt internationale Zusammenarbeit“ und „Sie verbessert die Bildung“. Oder eben: „Nani kama mama“ – „Wer ist wie eine Mutter?“. Seit mehr als drei Jahren ist „Mama Samia“ im Amt. Erste Veränderungen sind angestoßen, doch die Strukturen ändern sich nur langsam.

Samia Suluhu Hassan ist die erste Frau an der Spitze des ostafrikanischen Landes. Nach den Wahlen 2020 machte der immer autoritärer regierende John Magufuli sie zu seiner Vizepräsidentin. Als er im März 2021 plötzlich verstarb, übernahm Suluhu das Amt und änderte die rhetorische Richtung: Versöhnung, Reformen und Wiederaufbau – das waren zentrale Politikversprechen.

Wirtschaftlich macht das Land unter der neuen Präsidentin Fortschritte, das Bruttoinlandsprodukt wuchs von 2021 noch knapp 70 Milliarden US-Dollar auf rund 85 Milliarden US-Dollar 2023. Dazu beigetragen hat die Modernisierung der Landwirtschaft und die Aufhebung von Handelseinschränkungen. Ein weiteres großes Politikfeld, das sich Suluhu auf die Fahnen geschrieben hat, ist Bildung.

Auch der zivile Raum habe sich seit dem Tod von Magufuli erweitert, sagt Tony Alfred. Er ist einer der Mitgründer von „The Chanzo Initiative“. „Chanzo“ ist Suaheli und bedeutet „Quelle“. Das Portal wurde 2020 gegründet, um unabhängigen Journalismus im Interesse der Bevölkerung zu fördern. Unter Magufuli wurden kritische Medien verfolgt, NGOs eingeschüchtert und die Opposition in die Enge getrieben.

„Ich verspreche weitere Reformen, um eine konkurrenzfähige Politik aufzubauen“, sagte Suluhu 2023 bei einer von der Opposition organisierten Veranstaltung. Auch das war ein Novum. Das Problem sei jedoch, sagt Alfred, dass fast alle der wiedergewonnenen Freiheiten vom guten Willen der Präsidentin abhängig seien. „Wenn die Staatsmacht sich bedroht fühlt, kann sich das sehr schnell wieder ändern“, sagt er.

Das zeigte sich augenfällig Anfang August: Vor einer geplanten Demonstration wurden hunderte Oppositionsanhänger und führende Politiker in Gewahrsam genommen. Dabei hatte es Anfang des Jahres ein Aufatmen gegeben, nachdem das von Magufuli eingeführte Versammlungsverbot aufgehoben worden war und die erste große Demonstration in der Wirtschaftsmetropole Daressalam seit Jahren ohne Probleme stattfinden konnte.

Viele Menschen im Land stehen hinter „Mama Samia“. Doch manche Regierungsprojekte stoßen auf scharfe Kritik. Dazu gehören die Vergabe von Aufträgen zur Hafenverwaltung an ein Unternehmen aus Dubai oder Zwangsvertreibungen von Massai für umstrittene Wildschutzgebiete im Norden des Landes.

Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind für Oktober 2025 angesetzt. Der Wahlkampfmodus scheint bereits dauerhaft aktiviert. „Mama Samia“-Plakate wurden schon zum zweiten Amtsjubiläum im vergangenen Jahr aufgehängt, andere folgten in diesem Jahr. Sogar im frisch eingeweihten Schnellzug aus der Hafenmetropole Daressalam in die Stadt Morogoro läuft in Dauerschleife ein Zusammenschnitt einer Folge der „Royal Tour“. In der amerikanischen Dokuserie von 2022 reist Suluhu mit dem Reporter Peter Greenberg quer durchs Land zu den Touristenattraktionen, von denen Tansania mit seinen Nationalparks und dem Kilimandscharo viele zu bieten hat.

Auch bei den Wahlen im kommenden Jahr dürfte die seit der Unabhängigkeit 1961 regierende „Partei der Revolution“ CCM den Fokus auf „Mama Samia“ legen. Der Opposition, die sich erst langsam wieder sammeln kann, rechnet Tony Alfred kaum Chancen aus. Nach so langer Zeit der brutalen Unterdrückung müsse erst eine Basis aufgebaut werden. „Wir befinden uns in einer Übergangsphase“, erklärt Alfred. Es brauche dringend Reformen der Institutionen, des Parlaments, der Gerichte. Es gebe zwar bereits Kommissionen, die sich mit der Neugestaltung beschäftigen sollen, erklärt er. Doch eine Umsetzung sei ein langsamer Prozess.