Neulich war ich spazieren. Übers Feld, durch den Wald. Und immer wieder hüpfte mein Herz! Da, ein Specht! Ein Eichelhäher! Ein Bussard! Was mir erst viel später bewusst wurde: Da waren auch die Meisen, und zwar jede Menge von ihnen. Aber so schön die ja auch eigentlich anzusehen sind, die Blau-, Kohl- und Sumpfmeisen: Man schaut kaum noch hin. Weil die halt immer und überall herumschwirren. So selbstverständlich wie das Gras auf der Wiese. Oder das Wasser aus dem Wasserhahn.
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Ganz anders, wenn plötzlich ein Elefant im Wald auftauchen würde. Ja, da würde man hingucken – und noch lange davon erzählen. Oder ein Tiger. Oder ein Adler. Würden die Adler dagegen jeden Tag bei uns kreisen, würde man irgendwann wohl auch nicht mehr hinschauen.
Alltägliches nimmt man oft nicht wahr
Das Besondere muss selten sein. Was dagegen stets und immer verfügbar ist, wird als selbstverständlich abgetan – ganz automatisch; ob man es will oder nicht.
Wie wertvoll, schön und wichtig etwas sein kann, das ständig um einen herum ist, habe ich erfahren, als meine Mutter starb. Sie war gefühlt immer da, ob ich nun zuhause war oder in weiter Ferne. Sicher, ich habe sie geliebt. Irgendwie. Wie man halt seine Mutter liebt; auch wenn man manchmal genervt von ihr oder gar erzürnt ist. Auf eine selbstverständliche, leider auch unausgesprochene Weise. Sie war da. Wie die Luft, die einen umgibt und die man atmet. Und als sie nicht mehr da war, hätte ich alles dafür gegeben, ihr noch einmal sagen zu können, was sie mir bedeutet hatte, wie sehr sie mir fehlt.
Gesundheit als Luxus
Wer genauer hinschaut, findet so vieles, das wertvoll ist, aber ständig Gefahr läuft, unerkannt zu bleiben. Zum Beispiel die Gesundheit. Als junger Mensch habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Gesundheit war kein kostbares Geschenk, sondern eine Selbstverständlichkeit. Etwas, was unzerbrechlich und ohne Ende erschien. Heute, wenn der Rücken weh tut, das Bein, das Knie, die Hüfte; wenn irgendwann manches andere nicht mehr funktionieren wird oder nur unter Schmerzen, dann wird einem klar, in welchem Luxus man so lange Zeit geschwelgt hat – ohne es damals in seiner Tragweite auch nur ansatzweise zu begreifen.
Oder guter Schlaf: eine der größten Kostbarkeiten. Was man erst dann versteht, wenn man mal längere Zeit unter Schlaflosigkeit gelitten hat.
Corona hat die Sicht verändert
Gemeinschaft. Geborgenheit. Vereinsleben. Gemeindeleben. Chorprobe. Gottesdienste. Selbst das simple vor die Haustür gehen: Erst musste das vermaledeite Corona-Virus kommen, damit wir den wirklichen Wert dieser vermeintlichen Selbstverständlichkeit erfassen konnten.
Man muss wohl erst etwas verloren haben; etwas, was einen richtig schmerzt, um diese tiefe Weisheit zu verstehen: Ehre die kleinen Dinge! Das Alltägliche. Das vermeintlich Selbstverständliche. Ehre sie und wertschätze sie, solange sie noch da sind. Dieses Wertschätzen macht bescheiden und dankbar, gibt Zufriedenheit, Glück und Wohlbefinden. Ja, das Leben hat so viele Baustellen, Probleme und Krisen. Aber da sind auch so viele erfüllende und schöne Dinge. Nur bleiben die oft verborgen – weil sie eben so alltäglich und stets verfügbar sind.
Die Fastenzeit als Gelegenheit zur Besinnung
Jetzt beginnt wieder die Fastenzeit. Eine gute Gelegenheit, durch Verzicht zu erleben, was wirklich wichtig ist. Sich darauf zu besinnen, was man trägt, wofür man dankbar sein kann.
Ob Meisen, Mutter oder Mittagessen: Manchmal tut es gut, die Dinge zurechtzurücken, um ihren Wert zu erkennen. Denn: Vieles ist schön und wunderbar, auch wenn das im Trott der Tage viel zu oft verloren geht.
