Das Kunstwerk „SORRY“
In Frankfurt (Oder) regt eine Kunstinstallation an, über den Umgang mit Geflüchteten neu nachzudenken
Drei Meter hohe Blöcke, gespickt mit Glas – schön ist das nicht, was da jetzt an der Oderpromenade in Frankfurt (Oder) steht, direkt neben der Stadtbrücke, die zum polnischen Słubice zu führt. Aber eindrücklich: Die Skulptur wirkt passiv-aggressiv, bedrückend, erinnert an Grenzmauern oder ein Gefängnis. Von der Brücke aus betrachtet, bilden die grauen Wände die Buchstaben S-O-R-R-Y. „Das Kunstwerk will irritieren“, sagt Constance Krüger, Kulturkoordinatorin an der Europa-Universität Viadrina, während die Skulptur aufgestellt wird. Zusammen mit dem katholischen Hochschulseelsorger René Pachmann hat sie es möglich gemacht, dass das Projekt „Joanna Rajkowska: ‚SORRY‘ – Ein interdisziplinäres Begegnungsformat“ erstmals in Deutschland zu sehen ist.
Zur Vernissage des Werkes der polnischen Künstlerin am 29. Juni, 17 Uhr, kommt auch Frank Schürer-Behrmann, Superintendent des Kirchenkreises Oderland-Spree und Vorsitzender des Oekumenischen Europa-Centrums Frankfurt (Oder), das gemeinsam mit der Universität als Projektträger fungiert. Bis zum 3. Oktober werde „SORRY“ auf die „menschenfeindliche Abschottungspolitik der EU“ aufmerksam machen, sagt Pachmann. Mitten in Europa, genau dort, wo während des Kalten Krieges der Eiserne Vorhang die verfeindeten Blöcke voneinander schied, 70 Meter von der polnischen Grenze entfernt.
Die Skulptur soll irritieren
„In direkter Nachbarschaft werden zunehmend Grenzkontrollen durchgeführt“, hat Pachmann beobachtet. Dabei würden vor allem Menschen mit dunkler Hautfarbe heraus gewunken. Es erfolge „eine intensivierte Binnengrenzfahndung“, und zwar stichprobenartig, erklärt dazu eine Sprecherin der Bundespolizei auf Anfrage, etwa, um mutmaßlich von Schleusern organisierte Transporter zu identifizieren, auf deren Ladeflächen ungesichert Personen mitführen. Dann ruft sie noch einmal zurück, um klarzustellen: „Racial Profiling ist rechtswidrig und wird bei uns nicht praktiziert.“ Der Beschwerdeweg stehe allen offen.
Und schon ist man mitten im Thema. Bundespolizisten würden „zum Teil des Kunstwerks“, meint Pachmann. Es rege an „zur Auseinandersetzung über die Widersprüchlichkeit unseres Verhaltens“. Darüber, ob vielleicht jede und jeder ein Teil des Problems ist – und damit vielleicht auch der Lösung. „Die Skulptur soll irritieren – uns aus unserer Bequemlichkeit reißen“, meint Krüger. Dabei wolle man nicht andere mit erhobenem Zeigefinger ermahnen, sondern ermutigen, selbst aktiv zu werden.
Ein „Anti-Denkmal“
Wie gerufen, macht sich in dem Moment Pachmanns Telefon bemerkbar: Ein Aufruf des Aktionskünstlers Michael Kurzwelly von slubfurt e.V. zur „künstlerisch-politischen Demo“ sei online.
Mit Kundgebung an der Skulptur: „SORRY für Pushbacks, SORRY für die unterschiedliche Behandlung ukrainischer Flüchtlinge gegenüber anderen Flüchtlingen, SORRY für die Missachtung von Menschenrechten“, heißt es darin unter anderem. „Sorry“ – das versteht gemäß Konzept auch die Künstlerin als leichtfertig dahingesagtes Wort, das keine Auswirkungen hat. Sie nennt ihr Werk ein „Anti-Denkmal“.
Aus Scham wurde Kunst
Wer auf der beschaulichen Oderpromenade die Brücke nach Słubice unterquert, wird unvermittelt konfrontiert: mit den Mauern, die womöglich im eigenen Kopf herumstehen. Und mit der Migrationspolitik der Europäischen Union. Als Geflüchtete im Jahr 2021 monatelang in den Wäldern der belarussischen Grenzregion ausharren mussten und die EU tatenlos blieb, habe Rajkowska sich geschämt und daraus Kunst gemacht, erzählt Krüger. Die EU sage immerzu halbherzig „Sorry“, während sie zugleich bei jeder Gelegenheit humanitäre Werte betone. Die schwer erträgliche Doppelmoral stecke nun wie ein ironischer Stachel in der 25 Tonnen schweren Skulptur.
Vorher war das Kunstwerk in Poznań und Warszawa zu sehen. Nun soll es die Frankfurter Kultur- und Diskursszene bereichern. Führungen der örtlichen Volkshochschule sind geplant, der ökumenische Semesterabschlussgottesdienst am 13. Juli wird unter freiem Himmel neben der Skulptur stattfinden, mit Predigt von Hochschulseelsorger Pachmann. Laut Konzept transportiert das Kunstwerk auch religiöse Themen, Solidarität etwa, spirituelle Glaubwürdigkeit, Schuld oder Reue – menschliche Grundfragen. Wer hier vorbeikommt, wird unmittelbar angesprochen. Und zum Fragen angeregt: Was tun wir? Und was sollten wir tun?
Aus dem Begleitprogramm der Kunstaktion „SORRY“:
29. Juni, 17 Uhr: Vernissage
6. Juli., 18.30 Uhr: Gespräch mit der Künstlerin Joanna Rajkowska im Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst
10. Juli, 17 Uhr: „Sorry, tot!“ Politisch-künstlerische Performance
12. Juli, 18.30 Uhr: Nicht nur SORRY-Storys. Ukrainische Stimmen über die Ukraine
13. Juli, 19 Uhr: Ökumenischer Semesterabschlussgottesdienst an der Skulptur
15. Juli, 16–19 Uhr: künstlerisch-politische Demo mit Kundgebung an der Skulptur, Aufruf: Aktionskünstler Michael Kurzwelly von slubfurt e. V.
Diskriminierung durch die Polizei kann in Brandenburg gemeldet werden unter:
www.antidiskriminierungsstelle.de
www.polizei.brandenburg.de/onlineservice/beschwerde-mitteilen