Alle reden vom Klimaschutz. Der Biologe Ulrich Meßner sagt: „Man muss einfach machen.“ Er sitzt auf der Holzbank unter dem großen Sonnensegel vor seinem reetgedeckten Haus. Der Satz ist so etwas wie sein Lebensprogramm. Eine geheimnisvolle Behutsamkeit und Ruhe gehen von ihm aus – wie von seinem weiten Garten mit der Hängematte unter der alten Erle, der Streuobstwiese und den sanften Hügeln. Sonnenlicht fällt durch die grünen Blätter des Laubwalds, der ihn begrenzt.
Wir sitzen mitten im Müritzer Nationalpark in Mecklenburg-Vorpommern. Drei Jahrzehnte hat ihn Ulrich Meßner geleitet. Vor allem aber hat er mit anderen dafür gesorgt, dass am 12. September 1990 das Nationalparkprogramm der DDR beschlossen werden konnte. Das war nur in letzter Minute möglich.
Ein glücklicher Zufall
Es war der 12. September, der Tag vor der Wiedervereinigung. Da streikten die Müllmänner. Umweltminister Karl-Hermann Steinberg lief nach draußen, um sie zu beruhigen. Die Ministerrunde wollte schon auseinandergehen. Da kam Steinberg nach bangen 15 Minuten wieder und so konnte das Programm in letzter Minute beschlossen werden.
Um 14 Großschutzgebiete ging es: fünf Nationalparks, sechs Bioreservate und drei Naturparks. Insgesamt 500 Quadratkilometer oder 4,9 Prozent der Fläche Ostdeutschlands. Dass sie für die Zukunft gesichert wurde, ist einer Zusammenarbeit zu danken, von der man heute nur träumen kann. Umweltaktivisten aus dem Osten und Juristen aus dem Westen haben sie zustande gebracht. Und damit auch Anstoß für das Entstehen weiterer Naturschutzgebiete im vereinten Deutschland gegeben.
Der Traum vom Nationalpark
Begonnen hatte alles im Herbst 1989. Die Freunde Hannes Knapp, Ulrich Voigtländer und Ulrich Meßner hatten beisammengesessen und von einem Nationalpark an der Müritz, dem größten Binnensee Deutschlands, geträumt. Dazu beflügelt hatte sie die Friedliche Revolution. Tausende hatten hier demonstriert: vor allem gegen das DDR-Staatsjagdgebiet. „Außerdem bedrückte uns die marode Umwelt“, sagt Meßner. Anlass, ein zehnseitiges Papier an die Modrow-Regierung zu schicken. Darin forderten sie eine zeitgemäße Konzeption für Naturschutz und Landschaftspflege, ein Nationalparkprogramm für die DDR und die Entwicklung eines Nationalparks an der Müritz.
Da war es ein Glücksfall, dass im Januar 1990 einer ihrer Mitstreiter, der hochangesehene Biologe Michael Succow, über Nacht stellvertretender Umweltminister wurde. Wie viele andere der Naturschützer aus dem Wissenschaftsbereich hatte er gegen die SED opponiert. Weil er sich als Assistent an der Greifswalder Universität weigerte, den Einmarsch der sowjetischen Panzer in Prag 1968 zu begrüßen, wurde er in einen großen Meliorationsbetrieb versetzt. Unermüdlich erkundete er Moore, promovierte und wurde schließlich aufgrund seiner Kenntnisse rehabilitiert.
Engagement für die Umwelt
Im Umweltministerium war Succow nun für den Naturschutz verantwortlich. Ein alter Traum rückte in greifbare Nähe: Das Nationalparkprogramm, das der spätere Träger des Alternativen Nobelpreises am zentralen Runden Tisch der DDR schon im Januar 1990 in Berlin vorgestellt hatte. Unterstützung kam auch aus Bonn von Umweltminister Klaus Töpfer. Succow konnte 30 Mitarbeiter ins Ministerium holen.
Zum Teil bis dato arbeitslose hochqualifizierte DDR-Wissenschaftler wurden so zu Mitstreitern. Sie alle begaben sich in den Dienst der Sache. Damit die Natur werden kann, müssen Menschen für sie einstehen. Dabei hilft die richtige Kommunikation.
In lediglich zwei Monaten – von Januar 1990 bis zum 18. März, der ersten freien Wahl in der DDR – mussten die Karten für die Großschutzgebiete fertig sein. Ein wichtiger Verbündeter wurde Brandenburgs späterer Ministerpräsident Matthias Platzeck, der seit Januar als Minister ohne Geschäftsbereich der Regierung Modrow angehörte. Er sorgte dafür, dass in jedem Rat des Kreises zwei bis vier, in jedem Rat des Bezirkes sechs bis zehn Mitarbeiter angestellt wurden. Über Nacht waren mehr als 1000 Aktive aus dem ehrenamtlichen Naturschutz der DDR in Lohn und Brot.
Sie waren durch Wald und Feld gestreift, hatten seltene Tiere- und Pflanzenarten gesichtet und sie penibel nach wissenschaftlichen Methoden erfasst. Sie wussten, wo es stille Naturparadiese gab, wo der Schwarzstorch nistet und die kostbaren Moore sind, waren darum in der Lage, die genauen Karten für die Großschutzgebiete zu erstellen. Zwei Tage vor der ersten freien Wahl 1990 war alles geschafft.
Rückschläge und neuer Mut
Viel Zeit zur Freude blieb nicht. Mit der Wahl kam völlig überraschend die DDR-CDU ans Ruder. Die Menschen hatten im Kopf die West-CDU gewählt, in der Realität zogen viele alte Kader der mit der SED verbündeten Blockpartei in die Ministerien unter Regierungschef Lothar de Maizière. So auch als Umweltminister der „verdiente Erfinder der DDR“ Karl-Hermann Steinberg. Als der Succow zum Unterabteilungsleiter degradierte, verließ dieser das Ministerium.
„Ohne die Hilfe aus dem Westen hätten wir das nie geschafft“, erinnert sich Hannes Knapp. Der promovierte Biologe war wegen seiner Weigerung, zur DDR-Armee zu gehen, arbeitslos geworden. Motiviert durch die Kirche, war er in der DDR geblieben – und wurde nun Beauftragter für das Nationalparkprogramm. „Wir dachten, wir haben zwei Jahre Zeit“, erinnert sich Knapp. Doch weit gefehlt.

Der Wettlauf gegen die Zeit
Am 20. August – er war gerade auf der Ostsee-Insel Vilm, wo er später die Internationale Naturschutzakademie leitete – klingelte in aller Früh das Telefon. Uli Meßner rief an. „Am 3. Oktober ist die Vereinigung“, rief er erregt. „Das ist nicht zu schaffen.“ War alle Arbeit umsonst? Ein Traum dahin?
Da trat einer der fachkundigsten Bonner Juristen auf dem Plan. Klaus Töpfer hatte ihn nach Berlin geschickt: Ulf Müller-Helmbrecht. „Wir brauchen eine Musterverordnung“, entschied er. „Das Strickmuster bleibt.“ Dafür wurden noch einmal Fachleute aus Bonn geholt. An der juristischen Grundlage arbeitete Müller-Helmbrecht Tag und Nacht.
Natur Natur sein lassen
Da stehen sie alle im August 1990 vor diesem Mercedes-Bus, einer Spende der EuroNatur Stiftung in Radolfzell. Jörn Mothes hatte ihn gerade dort abgeholt. Die „heterogene Gruppe“ sei wichtig, sagt der Theologe, der heute im Schweriner Umweltministerium die Abteilung Klimaschutz leitet. Doch wie sicher ist das alles?
Er habe die große Sorge, dass die Menschen die Beziehung zu den damals erstrittenen wertvollen Naturlandschaften verlieren. Es gehe um das Verständnis dafür, dass wir nur Teil von natürlichen Prozessen sind, die die Kraft haben, sich selbst zu regulieren. „Natur Natur sein lassen“, lautet das Motto. „Der ganze Wahnsinn vom Wachstums- und Wohlstandsgedöns“ sei „das größte Gift“ für die mit den Nationalparks entwickelten Ideen. Wohlstand und Wachstum müssten sich am Schutz der natürlichen Ressourcen ausrichten und nicht an der materiellen Sicherheit der Menschen. Da, wo der Landschaftswasserhaushalt am besten gesichert und Grundwasser gesichert zu unserem Trinkwasser wird, da ist der größte Wohlstand. Das gleiche gilt für den Wald.
„Man kann sich der Rettung der Welt doch nicht verweigern“, sagt Michael Succow. Mit der nach ihm benannten Stiftung ist er längst von Osteuropa bis Asien in Sachen Naturschutzgroßprojekte unterwegs. „Es gibt noch viel zu tun“, ist er überzeugt.
