„Das geht weit über Antriebslosigkeit hinaus“

Der Winter ist für viele Menschen eine Herausforderung. Pascal Wabnitz, Professor für angewandte Psychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld, verdeutlicht den Unterschied zwischen Winterblues und Winter­depression.

Tageslichtlampen sind nur fast so gut wie Tageslicht - selbst an einem trüben Tag.
Tageslichtlampen sind nur fast so gut wie Tageslicht - selbst an einem trüben Tag.Imago/Jochen Tack

Wie wirkt sich der Winter auf das Verhalten der Menschen aus?
Pascal Wabnitz: Wetter, Licht und Wärme haben einen starken Einfluss auf unser Erleben und Verhalten. Im Winter ist es kalt und dunkel. Viele Menschen brauchen mehr Schlaf, haben mehr Hunger und sind träge. Der Körper fährt herunter und geht in eine Art Winterschlaf. Das bedingt sich dann gegenseitig: Wir fordern den Körper weniger, er stellt weniger bereit und es fällt uns noch schwerer, aktiv zu werden.

Da muss man sich keine Gedanken machen?
So eine Art Winterblues kennen viele Menschen. Das ist der Jahreszeit entsprechend normal. Anders ist das bei der Winterdepression. Darunter leiden 8 bis 9 Prozent der Deutschen.

Wie äußert sich die Winterdepression?
Das geht weit über Antriebslosigkeit hinaus. Dazu kommen etwa häufige Gereiztheit, Antriebsmangel, man kommt kaum aus dem Bett, hat wenig Interesse an sozialen Kontakten, leidet an Heißhunger und damit verbunden oft an Gewichtszunahme. Auch Kopfschmerzen und Übelkeit können Anzeichen sein.
Bei der klassischen Depression ist es üblicherweise etwas anders – die Betroffenen leiden eher unter Schlaflosigkeit und haben wenig Appetit und damit verbunden eine Gewichtsabnahme. Die Symptome der Winterdepression schleichen in der Regel nach dem Herbst und Winter wieder aus und sind dann im Sommer komplett verschwunden.

Kaum etwas Besseres als Tageslicht

Was kann man dagegen tun?
Die Winterdepression kann behandelt werden wie eine klassische. Zusätzlich hilft eine Lichttherapie mit speziellen Lampen, die zwischen 2500 und 10 000 Lux haben und das Tageslichtspektrum simulieren sollen. Die übliche Glühbirne hat rund 65 Lux. Studien deuten darauf hin, dass diese Art der Therapie hilft. Noch besser aber ist es, rauszugehen an die frische Luft und sich zu bewegen. Nichts kann das Tageslicht ersetzen, selbst wenn es trüb ist. Es gibt kaum etwas Besseres als Tageslicht und Aktivität.

Warum eigentlich?
Licht verhindert die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin, man wird also weniger schnell müde. Aktivität und etwas Schönes erleben fördert die Produktion der Botenstoffe Serotonin und Dopamin, die uns zufriedener und glücklicher fühlen lassen.

Hat der Winter auch positive Aspekte?
Durchaus. Wir leben in einer stressigen Welt. Viele Menschen haben das Gefühl, nicht mehr Herr ihrer Lage zu sein. Es ist in ihrem Leben so viel los, dass sie fürchten, die Kontrolle zu verlieren. Die langen Abende im Winter bieten die Chance, sich aktiv Ruhe zu gönnen.

Balance zwischen Aktivität und Ruhe

Aktiv und Ruhe – widerspricht sich das nicht?
Nein, überhaupt nicht. Es geht darum, sich bewusst Zeit zu nehmen für sich und sich die Frage zu stellen: Was tut mir gut? Oder: Wie geht es mir eigentlich? Der Mensch braucht die Balance zwischen Aktivität und Ruhe. Früher war der Winter automatisch ruhiger, weil es in der Landwirtschaft nicht mehr viel zu tun gab. Es gibt im Winter nur wenige helle Stunden. Heute besteht die Gefahr, trotzdem die Nacht zum Tag zu machen, lange am Bildschirm zu sitzen und Medien zu konsumieren.

Wie sieht aktive Ruhe aus?
Sich zum Beispiel bewusst zu sagen: Heute verbringe ich den Abend gemütlich auf dem Sofa mit einem Buch und Tee. Oder eben mit dem, was einen glücklich macht. Das kann auch mal heißen, sich einen bestimmten Film anzuschauen oder sich mit einem Menschen zusammenzusetzen, der einem gut tut. Letztlich ist es wichtig, das zu tun, was man gern macht. Und nicht das, was man meint tun zu müssen. Wir sollten uns fragen, welches Bedürfnis wir mit unserem Tun erfüllen.

Das kann auch einfach mal Nichtstun sein?
Langeweile ist bei uns negativ besetzt. Aber wenn wir mal wirklich zur Ruhe kommen und uns langweilen, dann schaltet das Gehirn – das ist übrigens messbar – in einen Zustand, in dem wir neue Ideen bekommen und kreativ werden.