Das brennende Herz fehlt

UK 12 und 13/2017, Reformationsjubiläum/Ökumene (Seite 2: „Ein Tag der Hoffnung“, „Wir erwarten Taten!“)
Ich halte den Hildesheimer Versöhnungsgottesdienst für einen bemerkenswerten Gottesdienst und bin zutiefst dankbar für diese Feier. Wir hören viele und gute Absichten, aber wir hören niemals von konkreten Schritten, die wirklich ins Herz zielen.
Woran liegt diese Unkonkretheit? Könnte es sein, dass man in allem zu sehr auf den Verstand oder den Intellekt setzt? Eben das fehlt mir in dem gottesdienstlichen Versöhnungsbemühen in Hildesheim, trotz vieler herzlicher Gesten: das brennende und glühende Herz für die Einheit.
Kein ernsthafter Christ und keine Christin wünscht sich einen theologischen Einheitskonsens, sondern sicherlich wirklich eine „versöhnte Verschiedenheit“, die es uns möglich macht – ganz im Sinne von Roger Schutz –, die jeweilige Tradition unserer Väter und Mütter nicht verraten oder aufgeben zu müssen.
Warum brauchen wir überall noch zwei konfessionelle Kirchengebäude nebeneinander? Und wenn sie nun einmal da sind – warum nutzen wir sie nicht gemeinsam – mit unterschiedlichen Schwerpunkten, wie es die jeweilige Tradition vorgibt, hier möglicherweise mit dem Akzent auf dem Wort, dort mit dem Akzent auf dem Sakrament? Wir wollen doch voneinander lernen.
Warum lernen wir Protestanten zum Beispiel also nicht endlich, dass man das Kreuzeszeichen nicht nur magisch, sondern tatsächlich auch als Gebet schlagen kann und dass es nicht unsere Identität kostet, wenn wir so beten? Hat nicht auch Luther das noch geübt? Und warum dürfen Katholiken nicht lernen, wie das Wort Gottes „evangelisch“ ausgelegt wird? Lebten wir erst „unter einem Dach“, lernte sich beides und vieles mehr wahrscheinlich wie von selbst. Dazu müssten wir noch nicht einmal sofort die vorhandenen Kirchenstrukturen auflösen.
Und wir Protestanten sollten  ein theologisches und spirituelles Gespür für die Notwendigkeit des weltweiten Petrusamtes als Petrusdienst entwickeln und wirklich einen Schmerz empfinden, dass wir ein solches universales Amt bei uns nicht kennen, aber es doch bei unseren katholischen Geschwistern finden können. Während die Katholiken auch die Schönheit des vielfältigen und manchmal auch chaotischen evangelischen charismatischen Predigtamtes entdecken können.
Es wäre schön, wenn wir alle zum Ende des ökumenischen Christusfestes in diesem Jahr am 31. 10. oder 1. 11. gemeinsam das eucharistische Mahl der versöhnten Verschiedenheit feiern könnten.

Friedrich Rainer Wutzkowsky,
Pfr. em., Rosendahl