Cannabis-Freigabe geht manchen zu weit – anderen nicht weit genug
Erst Cannabis, dann Kokain und Heroin? Manche Befürworter des Cannabis-Gesetzes fordern, auch andere Drogen zu legalisieren. Erfahrungen aus anderen Ländern weichen stark voneinander ab.
Seit rund sieben Monaten ist das Cannabis-Gesetz in Kraft – und die Kritik wird lauter: Mehr als die Hälfte aller Deutschen hält die Teillegalisierung inzwischen laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für falsch. Auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz forderte die Ampel dazu auf, das Gesetz zurückzunehmen.
Einige Befürworter gehen dagegen noch einen Schritt weiter: Die Initiative “My Brain My Choice” etwa fordert eine Entkriminalisierung des Konsums auch illegaler harter Drogen wie Heroin und Kokain sowie eine “Beendigung der Strafverfolgung”. Sie rät zu einem Ausbau von Beratungsangeboten und Drogenkonsumräumen. In den Einrichtungen können Suchtkranke begrenzte Mengen illegaler Drogen unter medizinischer Aufsicht konsumieren. Teilweise bieten Drogenkonsumräume auch Drug Checks an, um illegale Drogen auf ihre Inhaltsstoffe zu prüfen.
“Ich wünsche mir eine Politik, die Drogenkonsumierenden keine schlechte Qualität zumutet und sie nicht im Elend zurücklässt”, sagt Philine Edbauer, Co-Gründerin und Leiterin der Initiative im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Konsumiert wird so oder so”, fügt Edbauer hinzu. “Ursachen für Sucht sind eher seelische Probleme, fehlende Perspektiven, schwere Traumata.” Prävention solle “dort ansetzen, bei der Hilfe in Krisen”, und nicht bei einem gesetzlichen Verbot.
Die Initiative fordert außerdem eine Entkriminalisierung des Verkaufs illegaler Drogen: “Profitorientierter Handel mit illegalen Drogen ohne nachweislicher Schädigung anderer durch Gewalt” solle dem “unerlaubten Handel mit anderen Gütern angepasst werden”, heißt es in einem 13-Punkte-Plan der Initiative – mit gesetzlicher Regulierung. “Wäre der Staat beispielsweise der einzige Einkäufer von den Produzierenden und der alleinige Weiterverkäufer an den Einzelhandel”, sagt Edbauer, “könnte er stets die Kontrolle über die Qualität, Preise, das Aussehen von Verpackungen, die legal verfügbaren Mengen und regionale Verteilung behalten.”
Die Bundesärztekammer spricht sich auf Nachfrage dagegen nachdrücklich “gegen eine Legalisierung weiterer Drogen wie beispielsweise Kokain oder Heroin” aus. Stattdessen fordert sie eine “deutliche Stärkung risikoadaptierter und evidenzbasierter Präventions- und Interventionsmaßnahmen”, zum Beispiel in Schulen, Jugendeinrichtungen und Einrichtungen der Suchthilfe.
Die Teillegalisierung von Cannabis sieht sie auch Monate nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes kritisch. Bislang lägen noch keine epidemiologischen Daten zu den Auswirkungen der Cannabis-Legalisierung vor. Durch die Freigabe werde aber eine “Droge verharmlost, die nachgewiesenermaßen abhängig macht und zu schweren Entwicklungsschäden führen kann”.
Praxiserfahrungen aus anderen Ländern sind teilweise ernüchternd: Der US-Bundesstaat Oregon zum Beispiel entkriminalisierte 2021 per Volksabstimmung harte Drogen. Konsum und Besitz kleinerer Mengen von Kokain, Crystal Meth oder Heroin wurden mit dem Gesetz “Measure 110” straffrei.
Doch das Experiment scheiterte: Laut Medienberichten stieg die Zahl der Toten nach Konsum illegaler Drogen pro Jahr in Oregon zwischen 2020 und 2022 um 75 Prozent – verglichen mit 18 Prozent auf nationaler Ebene. Tina Kotek, Gouverneurin des Bundesstaats, rief im Jahr 2022 in der Stadt Portland deshalb den Notstand aus. 2024 nahm die Regierung die Legalisierung zurück; seit September ist der Besitz harter Drogen in Oregon wieder strafbar.
“Das Experiment in Oregon hätte sich gut entwickeln können. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen waren beteiligt”, sagt Edbauer. Das Projekt sei aber zu früh abgebrochen worden. “So eine Umstellung benötigt Zeit.”
Die Aktivistin verweist auf die Drogenpolitik in Portugal. Dort sind Drogen seit 2001 entkriminalisiert: Der Besitz und Konsum von Cannabis oder Kokain für den persönlichen Gebrauch ist erlaubt, der Handel weiterhin strafbar. Seitdem sank die Zahl Drogentoter in Portugal deutlich. Laut Europäischem Drogenreport 2024 verzeichnete Deutschland im Jahr 2020 beispielsweise 30 Drogentote pro einer Million Einwohner, Portugal dagegen nur elf.
Edbauer wünscht sich eine offene Diskussion. “Jugendliche verdienen einen besonderen Schutz. Für den Konsum von Cannabis setzte man deshalb eine Altersgrenze von 18 Jahren”, betont sie. “Sollte dann aber nicht auch die Grenze von Alkoholkonsum angepasst werden?”
Der Bundesärztekammer liegt noch keine Auswertung der ersten Monate nach der Cannabis-Teillegalisierung vor. Erste Ergebnisse erwartet sie am 1. Oktober 2025: Die Bundesregierung kündigte an, 18 Monate nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes eine Bewertung vorzulegen.