Campino debütiert als Gastprofessor – Riesiger Ansturm

Handys werden im Hörsaal schon mal versteckt. Am Dienstag leuchteten sie in Düsseldorf zahlreich – denn „Tote Hosen“-Musiker Campino sprach dort als Gastprofessor. Als Lehrer sah er sich dabei eher nicht.

Er ist schlicht gekleidet, dunkles Jackett, die Haare zurückgegelt. Nicht nur in seiner Heimatstadt Düsseldorf erkennt ihn unabhängig vom Outfit jeder sofort. Applaus brandet auf, als Campino den Hörsaal 3A betritt. Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität (HHU), trägt ein Tote-Hosen-Bandshirt unter ihrem Blazer, doch heute ist der Musiker in anderer Funktion hier – als Heinrich-Heine-Gastprofessor. Am Dienstag hält der 61-Jährige die erste von zwei Vorlesungen.

Das Interesse ist riesig: 30.000 Menschen haben laut Steinbeck an der Ticket-Verlosung teilgenommen; der Hörsaal bietet 650 Plätze. Auch das Medienecho ist enorm. Steinbeck erklärt, ein solcher Aufwand sei noch nie für eine Gastprofessur betrieben worden. Dabei waren unter Campinos Vorgängern immerhin Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki oder zuletzt Schauspieler Klaus-Maria Brandauer, dessen Vorlesung wiederum Campino als Zuhörer besucht hatte.

Manche Medien betiteln ihn nun als „Professor Punk“, andere ätzen von der „Resterampe des Deutschpunks“. Der Sänger selbst scheint sich irgendwo dazwischen zu verorten. „Als Systemkritiker kann ich kaum noch herhalten“, betont er im Pressegespräch. Angesichts gesellschaftlicher Missstände versuche er, sich einzubringen, doch „das mit dem Punk hätte man mich im Oktober 1985 fragen müssen“. Seinerzeit war bei einem Konzert der Toten Hosen die HHU-Mensa demoliert worden. Als Lehrer begreife er sich nicht, so Campino weiter: „Ich bringe nichts mit außer Begeisterung.“

Diese Begeisterung wird im Hörsaal greifbar – immer wieder lacht das Publikum, etwa wenn Campino den Vortrag des allerersten Gedichts unterbricht, das ihm einst begegnet sei. Nach wenigen Zeilen von „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ (Theodor Fontane) sagt er, nun habe er den Text vergessen. Um kurz darauf selbstironisch zu werden: Gemeinsam mit „Hosen“-Gitarrist Kuddel präsentiert er eine Akustik-Version von „Opelgang“, einem der bekanntesten Songs der Gruppe. Gedacht war er mal, wie Campino erläutert, als Lustigmachen über aufgemotzte Styler-Autos: „Da sieht man schon, dass ich nicht der beste Texter bin“ – die Ironie habe nämlich kaum jemand verstanden.

Doch Campino schlägt auch leise Töne an, erinnert etwa an die „tollen jüdischen Künstler“, die in der NS-Zeit verfemt und verfolgt wurden. Und als er das Lied „Nur zu Besuch“ anstimmt, wird es mucksmäuschenstill – es handelt von Campinos verstorbener Mutter. Einem Musiker, der regelmäßig Stadien füllt, kippt selten die Stimme, doch am Ende dieses Liedes geschieht es. In gewisser Weise schließt sich mit dem Song zudem ein Kreis, denn er war seinerseits bereits Gegenstand von universitären Arbeiten.

Zur Vorbereitung der Vorlesung habe er „hunderte Gedichte“ gelesen; Texte etwa von Erich Kästner hätten der Band Mut gegeben, sich politisch zu positionieren. Sagt der Musiker und singt „Europa“, einen Song, der seit seiner Veröffentlichung 2012 – vor dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise – kaum an Aktualität verloren hat.

Campinos eigene Musik ist also durchaus präsent. Mit der Beschreibung „Gebrauchslyrik“, die etwa Schlaflieder meint oder Songs, die bei Liebeskummer trösten, „fühle ich mich auch am wohlsten für das, was wir machen“, sagt er im Hinblick auf seine Band.

Fachleute bestätigen diesen fließenden Übergang zwischen Liedtexten und Lyrik. „Sprache und Musik haben immer schon zusammengehört“, sagte der Literaturwissenschaftler Dirk von Petersdorff am Morgen im WDR. Diese Verbindung berühre so gut wie alle Menschen – Kinder reagierten auf Rhythmen, Reime und Klang, bevor sie den Inhalt verstehen könnten. Der Experte erinnerte zudem an Bob Dylan, der 2016 als erster Popkünstler den Literaturnobelpreis erhalten hatte.

Während Dylan seinerzeit mit Schweigen irritierte, wirkt Campino aufrichtig, wenn er von einer Veranstaltung „once in a lifetime“ spricht. Und er nimmt sich angenehm zurück, wenn er dem Publikum etwa als „Hausaufgabe“ mitgibt: Wenn jemand sich in den kommenden Tagen frage, was das für eine schräge Veranstaltung gewesen sei, dann lohne es, einfach in die verlesenen Werke – etwa von Kästner – hineinzuschauen.